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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten
Autoren: Verena Roßbacher
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denkt: interessante Sache hier, oder: spannend.
    So ungefähr lag der Sachverhalt. Sie fanden diesen Text, und Worte sind harmlos, dachten sie, dabei kann alles Gedachte, Gesagte, getan werden, es kann jedes Wort so ungeheuer fleischlich werden und gefährlich.
    Aber das kam später. Vorerst dachten sie noch: interessante Sache hier, irgendwie spannend. Wenn überhaupt. Sydow fand es nicht mal witzig.
    Es war also nicht so, dass einer von ihnen sich als Detektiv geeignet hätte, aber ganz grundsätzlich: Man könnte sich fragen, wofür sich irgendeiner von ihnen überhaupt eignete. Sie machten zusammen Musik, aber na ja. Bis anhin die üblichen Verdächtigen, Mozart, Schumann und Freunde und alles, was sich auf Größe eines Trios zusammenstauchen ließ, ein bisschen fiedeln und tröten, alles in allem krauchten sie um die traurige Tatsache Hausmusik, bis Simon Glaser diese neue Idee hatte, eine super Idee, sagte er begeistert, ja, geht so, sagten die anderen.
    Sonst? Wenig Erbauliches. Glaser trank diesen Früchtetee, fand Heizen mit Holz wichtig und war an den Stadtrand gezogen, als wär das schon ein Programm. Er machte in Kunst oder Neuen Medien, wenn er einem was erklärte, befiel einen augenblicklich eine Art Blackout und der dringende Impuls, sich vom Acker zu machen. Kann sein, es lag an den Erklärungen oder an ihm, kann sein, an der Kunst an sich, den Neuen Medien.
    Womit er sein Geld verdiente, war im Großen und Ganzen undurchsichtig, irgendwas mit Film.
    Was, Film, sagte Sydow, er fand das zu undurchsichtig.
    Na, so Filme eben, sagte Stanjic, komisches Zeug.
    Und wo spielt er so was?
    Keine Ahnung, Vereinslokalen, öffentlichen Toiletten.
    Vereinslokalen?
    Türkische Vereinslokale zum Beispiel, da rennt eh den ganzen Tag der Fernseher und die Sachen von ihm sind immer in Endlosschleife, das ist genau das richtige Format.
    In Endlosschleife? Warum?
    Weil man sie sonst nicht versteht.
    Sagt wer.
    Sagt Simon.
    Und die Türken, was sagen die?
    Keine Ahnung, sind doch Türken. Aber wenn ich Türkisch könnte, würd ich sagen, sie sagen: Das ist also dieses Deutschland. Schlimm.
    Verstehe. Und du?
    Ich verstehe sie auch so nicht.
     
    So viel dazu. Stanjic hatte damit so seine Erfahrungen. Nicht, weil er ein Vereinsjockel wär, er kam nicht mal aus der Türkei. Stanjic kam aus Österreich, er war ein Österreichflüchtling, aus Österreich geflüchtet, wie andere Leute aus Krisengebieten flohen, er fand, Österreich war in der Krise und die Welt schaute nicht hin.
    Gott sei Dank hatte er diesen Quatsch hinter sich, diese latente selbstzufriedene Unzufriedenheit, die engstirnige Besserwisserei, dieses im Grunde durch und durch marode und malade System, manchmal sagte er Quark anstatt Topfen, nur so vor sich hin, er sagte Postbote anstatt Briefträger und wartete auf den echauffierten Aufschrei, das genäselte Aufheulen seiner ehemaligen Mitbürger, Österreich aber war weit weg, Krisengebiete sind immer so angenehm weit weg.
    Das Interessante daran war: Sagte einer in Deutschland Marille statt Aprikose und die Milch geht über , fanden das alle sympathisch und irgendwie exotisch, umgekehrt, sagte Stanjic zu Sydow, umgekehrt kann ich dir da nur abraten.
    Ich fahre sowieso nie nach Österreich, sagte Sydow.
    Ist auch besser so, was soll man in Krisengebieten auch groß ausrichten, außer man ist von Amnesty oder von der Caritas, die könnten in Österreich vielleicht noch was reißen. Vielleicht. Aber ich meine theoretisch. Sagen wir, du würdest dorthin verschleppt, von Männern mit Damenstrumpfhosen über dem Kopf, in einem verdunkelten Bus nach Österreich gekarrt, vor dem Dom aus dem Auto geworfen, und stehst jetzt in Wien auf dem Stephansplatz und suchst, beispielsweise, nach einem Bäcker. Die lange Fahrt, das schwere Los der Verschleppten, die Ungewissheit unter den Strumpfhosen, dieses Österreich an sich, die Angst hat dich innerlich aufgezehrt, du hast einen Bärenhunger. Du fragst einen dahergelaufenen Ureinwohner: Wo bitte kann ich hier ein paar Schrippen kaufen, und denkst hoffnungsvoll: Vielleicht hilft mir der Exotenbonus, Schrippen, denkst du, sie werden hören, ich komme aus Berlin, ich bin hier fremd und einsam, ich vermisse die Schrippe, die Bulette und Kaffe statt Kaffee, der Österreicher wird mich zum Frühstück einladen. Weit gefehlt. Hohn und Spott wirst du ernten, Bosheit und Stinkerei. Der Österreicher wird dich nicht nur nicht zum Frühstück einladen, er wird dich immer und
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