Schulterwurf

Sammlung der alten Kampftechniken, wie sie Jahrhunderte von Generation zu 
Generation zum Zwecke der Selbstverteidigung überliefert wurden.
    Doch die Zeiten änderten sich.
    Aus der Notwendigkeit der Selbstverteidigung erwuchs das Bedürfnis zum Angriff.
    Aus Kriegern wurden Gauner.
    Aus alten Meistern verantwortungslose Schüler.
    Dieses Buch soll die alten Lehren wahren, aber sie gleichzeitig davor bewahren, in falsche Hände zu geraten.
    Deshalbist es in der alten Sprache der Azuma-Krieger geschrieben.
    Wer immer diese Sprache beherrscht, möge sich auch an die Weisheit der Alten erinnern und den Inhalt dieser Sammlung nur jenen
     zugänglich machen, die sich seiner würdig erweisen.
     
    Der alte Übersetzer hat sich an dieses Vorwort gehalten und den – wie nennt ihr ihn?«
    »Quadratschädel«, sangen die Fünf Asse im Chor.
    ». . . den Quadratschädel nicht für würdig erachtet. Zum Glück!«
    »Und was passiert jetzt mit Koslowski?«, fragte Linh.
    Yuuto zuckte mit den Schultern. »Na ja, er bekommt wohl eine Anzeige wegen Körperverletzung an dem alten Japaner und mir.
     Dann noch eine wegen Freiheitsberaubung, Einbruch, Diebstahl. Ein bisschen was kommt da schon zusammen. Und vermutlich Entzug
     der Lizenz, Kampfsportarten trainieren zu dürfen. Denn um einen Kampfsport auszuüben, braucht man nicht nur Muskeln, sondern
     auch Köpfchen.«
    Yamada Yuuto strich über den kostbaren Buchdeckel. »Ich werde ein neues Versteck für das Buch finden.«
    »Warum vernichten Sie es nicht?«, fragte Michael. »Wenn es so gefährlich ist?«
    »Man vernichtet keine Bücher!«, widersprach Linh.
    Yuuto lächelte sie dankbar an. »Es ist ein Kulturgut«, erklärte er. »Ein kleines Stückchen Menschheitsgeschichte. Es ist das
     letzte Exemplar. Wenn ich es vernichte, sind jahrhundertealte Weisheiten für immer verschwunden.«
    »Aber, wenn es doch gefährlich ist?«, hakte Michael nach.
    »Dann ist es auch ein Beweis für die Friedfertigkeit des heutigen Judosports«, erkla¨rte Yuuto. 
    »Dann müssen Sie es aber ganz, ganz toll verstecken, wo es niemals jemand sieht«, forderte Michael.
    Yuuto zögerte einen Moment. Plötzlich überzog ein Lächeln sein Gesicht. »Ich habe mich entschieden. Ich werde das Gegenteil
     tun!«
    »Hä?«, wunderte sich Michael.
    Yuuto erklärte: »Ich werde es an einen Ort bringen, an dem jeder, der will, es sich jederzeit ansehen kann!«
    »Aber . . .«, wollte Michael sich empören.
    Doch Yuuto legte seinen Zeigefinger auf den Mund. »Vertrau mir! Auf jeden Fall danke ich euch herzlich. Wer weiß, wie die
     Geschichte ohne euch ausgegangen wäre.«
    Niemand sagt daraufhin etwas, aber Lennart zwinkerte Linh zu und Michael machte es ihm nach. Linh lächelte und beobachtete,
     wie Jabali Ilka zublinzelte.
    Yamada Yuuto räusperte sich und reichte Linh die geschlossene Hand.
    Erst wunderte sich Linh, dann erkannte sie, dass er ihr etwas geben wollte. Sie streckte ihm die geöffnete Hand entgegen.
    Yuuto ließ eine Handvoll Sonnenblumenkerne inihre Hand rieseln. »Dein Strauß voller Sonnen hat mir Hoffnung gemacht, wenn ich ratlos war und meine Stimmung düster. Deshalb
     möchte ich dir einen neuen Strauß zurückgeben. Ein paar Samen nehme ich mit nach Japan. Wer weiß, vielleicht blühen dann im
     nächsten Sommer deine Riesenblumen in meinem Bonsaigarten.«
     
    Ein paar Tage später las Linh in einer Internet-Nachricht, dass das japanische Nationalmuseum ein neues Ausstellungsstück
     erhalten habe: das einzige noch erhaltene Buch über die gefährlichen Kampftechniken der alten Jiu-Jitsu-Meister, gesichert
     in einer gepanzerten Glasvitrine, in der es jeder Besucher sehen, aber niemand lesen konnte.

Informationen zum Buch
    Die Fünf Asse sind in großer Aufregung: Linhs großes Vorbild, der Judo-Meister Yamada Yuuto aus Japan, wird ihre Schule besuchen
     und Linh soll den besonderen Gast betreuen! Doch Yuuto hat eigene Pläne und verschwindet immer wieder ohne Vorankündigung.
     Danach scheint er wie ausgewechselt: verstört und äußerst nervös. Als sich die Fünf Asse schließlich an seine Fersen heften,
     werden sie in eine abenteuerliche Jagd nach einem 500   Jahre alten japanischen Originalschriftstück verwickelt, das unter keinen Umständen in falsche Hände geraten darf…

Informationen zu den Autoren
    Andreas Schlüter
, geboren 1958, ist einer der erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautoren der letzten Jahre. Gleich sein erstes Buch ›Level
     4 – Die Stadt der