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Schulterwurf

Schulterwurf

Titel: Schulterwurf
Autoren: Andreas Schlueter , Irene Margil
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noch mal. Wir lernen heute einen Hüftwurf ohne Ausheben, das Fallen und Abklopfen.«
    Der Trainer rief einen der Jungen zu sich und demonstrierte an ihm wie in Zeitlupe, was er meinte. Danach stellte er die Paare
     für die Übungen zusammen.
    »Jetzt seid ihr dran! Und vergesst nicht!«, rief ernoch mal laut und schaute besonders dem kauenden Großmaul eindringlich in die Augen. »Abklop fen mit ausgestrecktem Arm bedeutet, Übung sofort unterbrechen! Wenn der andere Stopp ruft, genauso.«
    »Hast du gut zugehört, Kleines?«, fragte das Großmaul, das ausgerechnet Linh zugeteilt war, und wandte sich ihr zu.
    Zeige deinen Respekt gegenüber jedem Übenden durch eine ordentliche Verneigung. Wie automatisch verbeugte Linh sich, hielt
     aber schnell inne.
    Nicht hier!, schoss es ihr durch den Kopf. Von Verbeugung hatte der Trainer nichts gesagt.
    Da fasste sie der Junge schon an der Schulter und drückte sie nach hinten.
    Linh ließ es mit sich geschehen. Sie spürte, das Großmaul glaubte noch an seine Muskelkraft. Er wusste nichts von der Kraft
     des Nachgebens, von der Ausnutzung der Kräfte des Gegners. Statt Linh geschickt zu werfen, drückte er sie plump zu Boden.
     Linh ließ sich fallen und klopfte mit ausgestrecktem Arm auf die Matte. Aber es folgte kein Stopp! Der Junge drückte weiter
     an ihrer Schulter herum, es fehlte nur wenig, und sein Ellenbogenwäre auf ihrem Kehlkopf gelandet. Linh klopfte noch mal und noch mal.
    »Stopp!«
    Das Großmaul reagierte nicht.
    Linh sah aus dem Augenwinkel, dass der Trainer mit dem Rücken zu den Übenden Springseile an einem Haken ordnete.
    Wieder klopfte Linh und forderte: »Stopp!«
    Keine Reaktion.
    Den Kopf ruckartig zur Seite drehen, den Gegner mit einer Hüftdrehung blitzschnell aus dem Gleichgewicht bringen, um ihn mit
     einem seitlichen Schulter- und Armhebel festzuhalten.
So stand es im Lehrbuch. Aber Linh brauchte kein Buch. Es war ihr durch unzählige Trainingsstunden in Fleisch und Blut übergegangen,
     wie sie sich aus so einer Situation befreien konnte. Intuitiv folgte Linh ihrer inneren Stimme. Man hätte nicht einmal bis
     drei zählen können, da sah die Welt schon ganz anders aus. Der Junge lag rücklings auf der Matte und zappelte hilflos mit
     Händen und Füßen. Alles andere konnte er nicht mehr bewegen. Linh hatte ihn mit ihrem Knie festgesetzt und fixierte ihn zusätzlich
     mit ihren Armen.
    »Hast du Kaugummi in den Ohren?«, zischte Linh ihn an. »Stopp heißt stopp! Ist das klar?«
    Der Junge hatte nicht mal mehr einen Arm frei, um abzuklopfen. Laut Stopp rufen mochte er nicht. Dann hätten alle anderen
     mitbekommen, wie er unter dem kleinen Mädchen lag und sich ergeben musste.
    »Ob du das verstanden hast?«, giftete Linh ihn an. Sie verlagerte ihr Knie an eine empfindlichere Stelle seines Arms.
    »Ja, ja«, wimmerte der Junge.
    »Was macht ihr denn da für Verrenkungen?« Plötzlich stand der Trainer direkt neben ihnen.
    Linh löste ihr Knie von dem Jungen und antwortete mit der Stimme einer zierlichen, kleinen Vietnamesin: »Sorry, wir haben
     uns versehentlich etwas verknotet.«
    Sie entließ den Jungen vollends aus ihrem Haltegriff und lächelte den Trainer freundlich an. Der Junge richtete sich auf und
     zupfte völlig verdattert an seinem schicken Kampfanzug, der ihm aus dem Gürtel gerutscht war.
    Der Trainer schmunzelte. »Das genügt fürs Erste«, beendete er überraschend früh das Training.
    Kurz darauf stand Linh wieder im Foyer und zog ihre Schuhe an. Am ansonsten verlassenen Empfangstresen stand ein alter Mann. 
    Ein Japaner!, erkannte Linh sofort. Sie hatte nicht das Problem der Europäer, Asiaten nicht auseinanderhalten zu können. Der
     alte Mann war eindeutig ein Japaner! Mindestens so alt wie Yamada Yuuto.
    Und was hatte der gesagt? Das Buch war in einem japanischen Dialekt geschrieben, für den man einen Übersetzer benötigte. War
     Linh auf der richtigen Spur?
    Der Mann schaute sie an und nickte zur Begrüßung. Linh nickte freundlich zurück und kniete sich schnell hin, als ob sie ihren
     Schnürsenkel binden müsste.
    Der Japaner schien auf etwas zu warten. Nie und nimmer will der hier trainieren, dachte sich Linh.
    Aus dem hinteren Raum drang ein wildes Durcheinander von Männerstimmen in mindestens zwei Sprachen. Deutsch und Japanisch,
     hörte Linh heraus. Obwohl sie außer ihren Judobegriffen kein Japanisch sprach, verstand sie einzelne Worte. Sie lauschte konzentriert,
     trotzdem gelang es ihr nicht,
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