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Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen
Autoren: Sándor Márai
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Münzen und Währungen vom Altertum bis zur Gegenwart; er hortet das Geld aus den entlegensten Weltteilen in jeder erdenklichen Form und Art.
    Dafür gibt es verschiedene Beispiele. Neben dem gesunden, ehrlichen und frischfrohen Erwerbsinstinkt finden wir als zweite charakteristische Eigenschaft des Reichen einen gewissen zwangsmäßigen inneren Drang zur Anhäufung der Vermögenswerte. Ich kannte einen Reichen, der ins Kino nicht nur Bonbons und Zigaretten verschiedener Sorten mitnahm, sondern auch Kölnisch Wasser und in einem Lederbeutel ungeschliffene Edelsteine, die er von Zeit zu Zeit betastete. Dieser unglückliche Mensch, beherrscht vom zwanghaften inneren Drang zur Häufung aller Dinge, sah von seiner Loge aus der Vorstellung nur mit einem Auge zu, las dazwischen beim Schein einer Taschenlampe amerikanische und französische Magazine, lutschte Bonbons, steckte sich eine Zigarette an, streichelte mit der freien Hand die Hände seiner Begleiterin, roch am Fläschchen mit Kölnisch Wasser und dachte zwischendurch an die in seiner Tasche gehüteten Edelsteine.
    Diesen Geisteszustand erwähne ich als besonders charakteristisch. Könnte man sonst verstehen, daß ein Mensch, der eine belgische Kohlengrube sein eigen nennt, sich gleichzeitig zähneknirschend nach einer südamerikanischen Gummiplantage sehnt, so gierig und so besessen, als hinge seine Ehre, sein Leben und sein Seelenheil von der Verwirklichung dieses Wunschtraumes ab? Könnte man verstehen, daß ein anderer, der Millionen in Dollar besitzt, alles auf eine Karte setzt, um das Doppelte dieses Vermögens in schwedischen Kronen zu erraffen?
    Dieser Drang, der den Reichen zu eigenartigen und gefährlichen Unternehmungen zwingt, als müßte er dauernd befürchten, etwas zu versäumen, diese vorsichtige und dennoch maßlose Gier nach neuem Besitz, deren tragische Folgen wir in der Welt der Reichen ununterbrochen beobachten können, lehrt uns, daß der Reiche immer aufs Ganze geht, auf den Besitz der gesamten Welt mit allen ihren Flüssen, Gebirgen, Bergwerken, industriellen Anlagen und Geldsorten und nicht auf Bagatellbeträge, die man mit vier Prozent bei einer Bank verzinsen kann.
    Die fixe Idee des Besitzerwerbs kann auch oft Früchte tragen, natürlich immer nur in der Hoffnung auf Anhäufung von Werten. Ein richtiger, unverfälschter Reicher – die eigentlich selten sind, da es zwischen den Reichen eigentümlicherweise viel weniger konstruktive Talente gibt, als man nach den erzielten Erfolgen glauben könnte – bemüht sich gleichzeitig um den Alleinbesitz des französischen Kongo, der Porzellanfabrik von Sèvres und der norwegischen Heringsfischerei, feilscht aber nebenbei ganz gern beim Kauf einer Schachtel Streichhölzer.
    In der Einbildung der Armen existiert von den Reichen ein genauso irrtümliches, verworrenes, fast kindliches Bild wie in den primitiven Völkern über die Geisterwelt. In ihrer Phantasie sprechen sie den Phantomen des Reichtums seltsame, ominöse Fähigkeiten zu und glauben, daß die Absichten und Leidenschaften dieser übernatürlichen Wesen ihr Leben beeinflussen, ihr freies Bestimmungsrecht einschränken und sie im ungestörten Genuß des Lebens behindern könnten. Und weil der Arme so wenig von der Welt sieht wie ein Pferd mit Scheuklappen, formt er sich zwangsläufig mit seiner beschränkten Einbildungskraft den Mythos des Reichtums und stellt sich die Welt des Reichen als eine Art von staatlich konzessioniertem Olymp vor, wo Halbgötter in Automobilen herumsausen und zum Fünfuhrtee Nektar trinken.
    Für die Armen ist der Reichtum tatsächlich gleichbedeutend mit dem Leben heidnischer Götter, ein Zustand der Gnade und der Gunst, die nur Auserwählten zuteil wird. Der Arme kann nicht verstehen, warum zum Beispiel ein beschränkter, unangenehm aussehender und langweiliger Mensch reich sein kann. Er begreift es einfach nicht und kommt unwillkürlich auf den Gedanken, daß der Reichtum von Gottes Gnaden herrühre. An dieser Ansicht hält er dann auch eigensinnig fest. Mit den Reichen vermag er sich nicht zu verständigen, und er würde am liebsten zu einem Wörterbuch greifen, um ihre Worte in die Sprache der Armen zu übertragen.
    Ich muß zugeben, daß ich bei den seltenen Gelegenheiten, wo ein wirklich Reicher mich mit seiner Ansprache auszeichnete, die gleiche Verwirrung und Verlegenheit empfand. Am liebsten wäre ich vor ihm auf die Knie gefallen, hätte seine Hände geküßt oder aber mit tiefen Komplimenten und unter
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