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Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen
Autoren: Sándor Márai
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Folgen von verantwortungsloser Verbreitung politischer fixer Ideen ist, daß Irrlehren entstehen können, nach denen die allgemeine und ewige Armut die Konsequenz von Raubzügen irgendeiner wilden Interessengemeinschaft oder einer blutdürstigen Interessengruppe sei.
    Der Minierarbeit dieser falschen Propheten verdanken wir es, daß der Arme manchmal auf den Gedanken kommt, seine Armut so aufzufassen, als wäre sie die Folge der Verschwörung einer unterirdisch arbeitenden Mafia, einer geheimen Gesellschaft wilder und raublustiger befrackter Aktionäre, die sich ausschließlich zu dem Zweck in Trusts oder Holdings zusammengeschlossen haben, um die Armen auszuplündern.
    Wir wollen das natürliche Recht und die durchaus gesunde Anlage der Reichen, die sie unwiderstehlich treibt, ihr Vermögen mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu vermehren und sich mit den Armen nur so weit zu beschäftigen, wie es ihren Interessen entspricht, keinen Augenblick bestreiten. Glücklicherweise sind die Reichen gesund und kräftig, sonst könnten sie nicht begütert bleiben, im Gegensatz zu den Mittellosen, die selbst in ihren unübersehbaren Massen hilf- und kraftlos sind.
    Da es so viele Arme gibt und so wenige Reiche, wäre es jenen infolge ihrer überwältigenden numerischen Mehrheit bei den verschiedensten Gelegenheiten ein leichtes gewesen, den Reichen alle Vorteile und Güter abzunehmen, an die sie sich mit einer so gesunden Beharrlichkeit klammern. Bedenken wir aber, daß von den zwei Milliarden Erdenbewohnern im besten Fall hundert Millionen reich und der Rest arm sind, dann erscheint es zweifelhaft, ob die schönste Theorie, selbst gepaart mit Gewaltanwendung, geeignet wäre, diesem Zustand der Unbeholfenheit ein Ende zu bereiten.
    Bei der genauen Untersuchung dieser Verhältniszahlen kommt man unwillkürlich in die Versuchung, mit der Irrlehre zu brechen, die Reichen brächten nur durch Intrigen und Vereinbarungen die Armen um ihre Rechte an den Schätzen der Welt. Wir haben vielmehr das Wesen des Reichtums und der Armut mit der gleichen Unvoreingenommenheit zu untersuchen – wie ein australischer Eingeborener die Grundelemente des französischen Gesellschaftslebens studieren würde –, um die übernatürlichen Kräfte und politikfreien Zusammenhänge zu erkennen, deren Folgen der Reichtum und die Armut sind.
    Daß der Besitz von Geld die Reichen von den Armen trennt, ist ebenfalls ein Fehlschluß. Diese These haben hauptsächlich die angelsächsischen Sozialphilosophen gelehrt, und sie lehren sie heute noch. Die französischen und lateinischen Denker im allgemeinen äußern sich dagegen nur mit einiger Zurückhaltung über den Einfluß und die Bedeutung des Geldes bei der Entstehung der Gesellschaftsordnung. Der Grund des Fehlschlusses, der Geldbesitz trenne die Armen von den Reichen, liegt in der Oberflächlichkeit, mit der die Menschen das Geld zu allen Zeiten als einfachen Wertmesser betrachteten und dabei meist vergaßen zu untersuchen, welche Werte es eigentlich sind, die man mit Geld bemessen kann.
    Bei genauer Betrachtung kann man tatsächlich feststellen, daß man sich mit Geld, angefangen bei einer Salbe über ein nicht anhaltendes Wollustgefühl bis zur Mehrheit eines Aktienpakets, alles in der Welt kaufen kann, und man muß auch zugeben, daß durch Geld erworbener Besitz und die Möglichkeit der Befriedigung nicht zu unterschätzen sind.
    Dagegen kann sich zum Beispiel ein dummer Mensch trotz all seines Geldes die Fähigkeit der klugen Überlegung nicht erkaufen, obwohl das Nachdenken – geben wir es zu – doch mehr Unterhaltung bietet als ein Champagnergelage mit Frauen in einem Nachtlokal. Mit Geld kann man auch die Angst vor dem Tod nicht betäuben, und selbst an und für sich einfache Fähigkeiten wie das Gesangstalent oder der Sinn für Humor lassen sich nicht damit beschaffen. Man würde es nicht glauben, aber tatsächlich ist es so. Wir unterschätzen keinesfalls die produktiven Möglichkeiten, die werteschaffenden Fähigkeiten des Geldes, wenn wir seiner Wirkungskraft auch Grenzen setzen.
    Das Geld ist fähig, Haß in Liebe, Gleichgültigkeit in Freundschaft umzuwandeln. Ich selbst zum Beispiel habe die Beobachtung gemacht, daß ich für Geld, und sogar für relativ wenig Geld, zu den edelsten Gefühlen fähig bin. Die Schuld der scheinheiligen und einseitigen kontinentalen Schönliteratur besteht darin, daß viele Menschen auch heute noch an eine magische Kraft des Geldes glauben und daß auf
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