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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer
Autoren: Ulrich Woelk
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schockierende Ordnung. Ihre akkurat lackierten Zehen standen unter dem fliederfarbenen Querband der Samtpantoffeln vor wie kleine, perfekt in Reih und Glied angetretene Schönheitssoldaten. Unter dem Bogen ihres flexiblen Leopardenmusterhaarreifs schwebte ihr Lächeln sanft und kursgenau wie eine Hollywoodschaukel durch die Luft. Wenn sie jemanden umarmte, wie jetzt Do, begrub sie ihn nahezu unter sich. »Liebste!«, rief sie aus. Dann flüsterte sie konspirativ: »Ich bin
so froh
, daß ihr kommt. Ich bin in Schweiß gebadet, und Mark steht nur im Weg herum, weil er sich langweilt.
Er
ist noch nicht da.«
    Danach hieß sie Oliver willkommen. Er reckte sich ihr entgegen, küßte sie auf die gepuderten Wangen und überreichte ihr den mitgebrachten Blumenstrauß. Es handelte sich um eine blütenreiche Komposition aus Freesien und Mohn. Helma schrieb in ihrer Freizeit Gedichte und bezeichnete den Strauß als »poetische Frühlingsverdichtung«. Kaum im Wohnzimmer, flog ihr auch schon von irgendwoher eine Vase zu. Und keine Minute später erstrahlte der Strauß im durch die gartenseitige Fensterfront hereinströmenden Abendlicht.
    Mark, Helmas Mann, begrüßte Do in seiner üblichen, steifen Art, die nie ganz frei war von einem Rest plumper Förmlichkeit. Als Leiter einer Sparkassenfiliale war ihm die apersonale Seriosität des Bankgeschäfts in Fleisch und |38| Blut übergegangen. Er war ein großer ungelenker Mann, der stets wie pure Masse herumstand und dabei enorm schwer wirkte, obwohl er keineswegs signifikant übergewichtig gewesen wäre. Er hatte dichtes schwarzes, pudelartig gekräuseltes Haar, das sich über den Ohren ergrauend ballte. Seine fleißige unkreative Natur half ihm, bei seiner Arbeit mit sicherem Instinkt zwischen soliden und abenteuerlichen Kreditanträgen zu unterscheiden. Die von ihm geleitete Sparkassenfiliale und Olivers Brillengeschäft lagen nur hundert Meter voneinander entfernt, und gelegentlich versorgte er Oliver halblegal bei einer Tasse Kaffee mit dem einen oder anderen finanztechnischen Insidertip. Doch keiner dieser Tips war bisher so heiß gewesen, daß Oliver aus seinen Freizeittransaktionen via Internet bedeutende Summen herausgeholt hätte.
    Es läutete, und Helma verschwand eilig in den Hausflur. Nach wenigen Sekunden ertönte ihr Begrüßungssingsang, in den sich eine kehlig-tiefe, räumlich schwer zu ortende Stimme mischte. Höflich und unaufgeregt verbreitete sie einen etwas altertümelnden Habe-die-Ehre- oder Gnädige-Frau-Charme. Kurz darauf führte Helma den Zauberer herein, im Arm ein betörend üppiges Blumenbouquet in einer Zellophanhülle, die das Licht der hereinscheinenden Sonne strahlenförmig brach, so daß es im Raum wie von Hunderten kleiner zusätzlicher Lichtquellen ein wenig heller zu werden schien. Einer dieser Lichtsplitter zerstob in Dos Proseccoglas und brachte die schwächlich sprudelnde Flüssigkeit innerlich zum Leuchten.
    Balthasar Schrödinger war ein großer, heller, aus zarten Rosétönen modellierter Mann, der auf die sechzig zuging. |39| Für eine Einladung zum Abendessen war er überraschend leger gekleidet. Er trug ausgewaschene Jeans, die sich über den sandfarbenen Wildledermokassins stauten, ein helles Baumwollhemd und ein schlaffes, in den Rockschößen knittriges kremfarbenes Leinensakko. Mit seinen silbrig melierten Haaren, die so voll waren, als wären sie von einer inneren Kraft erfüllt, und den blaßblauen Augen stand er insgesamt da wie ein sanft koloriertes Aquarell. Und doch wirkte er zugleich schwer. Sein Oberkörper unter dem Leinenstoff war weit, sein Kopf groß und seine Hände fleischig. Je nachdem, unter welchem Aspekt man ihn betrachtete, gewann man den Eindruck, einer unreflektierten Dandynatur gegenüberzustehen oder einem zurückhaltenden sensiblen Künstler. Seine Art verband einen lässigen Nonkonformismus mit dem Einhalten klassischer Gesellschaftsregeln. Kurzum: Er hatte Stil. Die beiden Männer im Raum fürs erste ignorierend, ging er auf Do zu, reichte ihr seine große Hand und stellte sich vor.
    Do war nervös, weil sie mit Helma schon so viel über diesen Mann geredet hatte. Jetzt, da er vor ihr stand, kam ihr das ungehörig vor, als hätte sie ihn ohne sein Wissen über längere Zeit beobachtet. Daß er so enorm große Hände hatte, überraschte sie. Unbewußt hatte sie angenommen, daß Zauberer eher zarte, sehr kleine Hände haben müßten, gewissermaßen um jedes Atom einzeln bewegen zu können. Ihre Unsicherheit
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