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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer
Autoren: Ulrich Woelk
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geprägten Vorort gelegen, war das Grundstück (das Haus selbst war mehr oder weniger wertlos) als Immobilie inzwischen fast auf das Zehnfache seines ursprünglichen Wertes gestiegen. Es wurde für Oliver zu einem Eigenkapitalgrundstock, den er zur Finanzierung seines Hauses nutzte. Er staunte darüber, daß die von ihm einst im zarten Alter von sieben oder acht Jahren gepulten Krabben jetzt, in seinen mittleren Jahren, derart üppige Zinsen abwarfen. Genaugenommen hatte er also bereits als Junge damit begonnen, unter der beharrlichen Regie seiner Mutter ein Eigenheim zu erwirtschaften. Als sie nur noch Asche war, fühlte er sich zutiefst schuldig, weil er ihr niemals die Liebe gegeben hatte, auf die sie ein Anrecht gehabt hätte. Wahrscheinlich würde es ihm nicht gelingen, jemals zu ergründen, was Frauen im Innersten von ihm erwarteten; aber für seine krabbenpulende Mutter war die männliche Seele kein Mysterium, sondern das Mark eines Groschenromans gewesen: Frauen hatten es mit unverbesserlichen Herumtreibern zu tun.
    An einem Tag im April saß Oliver im Wagen und fuhr von seinem Geschäft nach Hause. Kurz nach dem Tod seiner Mutter waren Do und er diese Strecke zum ersten Mal gefahren, ausgestattet mit einem Makler-Exposé, um das |29| Haus zu besichtigen, das sie vielleicht kaufen wollten, da er nun Geld hatte. Das war fünf Jahre her; Oliver hing seinen Erinnerungen nach und sah nachdenklich aus dem Fenster. Die Ahornbäume an der S-Bahnstation verschatteten sanft die Straße, bei den Eichen vor dem Postamt konnte man die Blattsprossen erahnen, aber die Äste der knorrigen Robinien griffen noch so nackt und klauenhaft in den Himmel, als sei der Frühling ein bloßes Gerücht – eine Austriebsvorsicht, die an diesem lauen Abend unpassend wirkte, geizig oder sogar ungastlich, weil die Vögel damit begonnen hatten, ihre Nester zu bauen, und auf dem Präsentierteller eines kahlen Geästes würden sie sich nicht niederlassen. Oliver dachte: Wer sich zulange ziert, geht am Ende leer aus.
    Vor drei Wochen hatte Do ihm erzählt, daß ein Zauberer das seit einem Jahr leerstehende »Le-Corbusier-Haus«, wie sie es nannte, gekauft hatte. Oliver steuerte den Wagen gemächlich vom Weißdorndamm in die Märkische Straße, und das Kopfsteinpflaster ließ die Armaturen vibrieren. Üblicherweise nahm er nach Geschäftsschluß einen schnelleren Weg, aber an einem Abend wie diesem gefiel es ihm, durch das alte Viertel mit seiner hundertjährigen Vegetationspatina zu zuckeln. Ein paar mit kleinen Säulenportalen versehene Häuser stammten noch aus der ersten Besiedlungswelle zur Kaiserzeit; in den zwanziger und dreißiger Jahren waren andere, einfachere hinzugekommen, eingebettet in das vielfältige Grün der Gärten und Baumkronen, als wäre das ganze Viertel weich bemoost.
    Oliver war neugierig auf dieses »Le-Corbusier-Haus«. Die intensiven Strahlen der niedrig stehenden Sonne trafen |30| die frisch gestrichene Fassade dramatisch, und es leuchtete im dunklen Moosgrün des Viertels auf wie ein Barren Gold. Oliver ließ den Wagen langsamer werden. Das Gebäude war rechteckig mit einer links aufgesetzten tellerrunden Dachterrasse, deren Ränder über den ersten Stock hinausragten. Dahinter erhoben sich dunkle, majestätische Tannen in den Himmel, allem Anschein nach war die Gartenbepflanzung ebenso alt wie das Gebäude selbst, so daß sich ein auffälliger Kontrast zwischen dessen klassischer Modernität und einer Art Caspar-David-Friedrich-Naturkulisse ergab. Es überraschte Oliver, wie scheinbar unsichtbar das Haus für ihn gewesen war, solange es noch sandgrau und mit abblätterndem Putz im Schatten der Bäume vor sich hingedämmert hatte.
    Er ließ den Wagen an den Straßenrand rollen. Dabei dachte er an das von Helma Kienapfel vor einem Monat in die Welt gesetzte Gerücht, der neue Besitzer sei Zauberer. Er stieg aus und betrat das Grundstück. Der Sockel vor dem Hauseingang war aus dunklem Basalt und übersprenkelt mit Farb- und Putzspritzern. Weil er sich beobachtet fühlte, huschte Oliver um die rechte Gebäudeecke und tauchte zwischen zwei Rhododendronbüschen durch, die wie zwei alte, mehr als mannshohe Wächter den hinteren Teil des Gartens zur Straße hin abriegelten. Der frische weiße Fassadenanstrich, der auf der Gebäudevorderseite sonnenhaft geleuchtet hatte, verbreitete im Reich der alten Tannen die Lichtstimmung ständiger bläulicher Dämmerung.
    Die gläserne Terrassentür war nur angelehnt. Oliver
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