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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer
Autoren: Ulrich Woelk
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gegenübertreten und blieb hinter der Schranktür stehen. »Ich frage mich, was mit dir los ist? Wir bekommen einen neuen Nachbarn, das ist alles, was ich dir sagen wollte, und du machst eine komische Geschichte daraus.«
    »Was für eine Geschichte denn? Einen Nachbarn zu bekommen, der sich Balthasar Schrödinger nennt und behauptet, Zauberer zu sein, ist ja nicht alltäglich. Aber ich |19| bin sicher, Helma und du, ihr werdet ihm schon auf den Zahn fühlen. Tut mit leid, wenn meine Äußerungen negativ geklungen haben sollten. Ich bin ein wenig ungeduldig, Schatz. Wir haben ja noch etwas vor.«
    Sie zog sich eins der T-Shirts über, das aber nur bis zur Taille reichte, und schloß die Schranktür. Oliver saß mit weit gespreizten Beinen auf dem Bett. Er würde in jedem Fall mit ihr schlafen wollen. Und er würde ihr entgegenhalten, daß es ihr eigener Vorschlag gewesen war.
    Sie sagte: »Ich bin nicht besonders entspannt. Vielleicht hätten wir ein Glas Wein trinken sollen.«
    »Können wir«, sagte er. »Wie wär’s mit diesem samtigen Languedoc?«
    »Besser nicht. Ich habe morgen früh ein Gespräch mit Jennys Mathelehrer.«
    Er sah sie an. »Was soll das, Do? Du sagst, du brauchst Wein, um in Stimmung zu kommen. Nun gut. Und dann sagst du, daß du keinen Wein trinken
kannst
. Das erinnert mich fatal an dieses Regel-eins-Regel-zwei-Spiel. Regel eins: kein Sex. Regel zwei: Wenn Sie scharf sind, tritt automatisch Regel eins in Kraft.«
    »Es sind meine Empfindungen. Du solltest nicht in diesem Ton darüber reden«, sagte sie.
    »Was soll ich denn tun, Do? So wie ich die Sache sehe, gibst du mir keine Chance.«
    In diesem Moment klingelte das Telefon auf ihrem Nachttisch. Do versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, daß sie erleichtert darüber war, so ungewöhnlich das Klingeln um diese Zeit auch sein mochte. Aber sie spürte, daß Oliver nicht bereit war, den Gedanken an Sex schon aufzugeben. |20| Sein Blick signalisierte ihr, daß er erwartete, daß sie das Gespräch nicht entgegennehmen würde. Sie sollte abwarten, bis der Anrufbeantworter ansprang – üblicherweise nach fünf oder sechs Klingelzeichen. Instinktiv ging ihr noch etwas anderes durch den Kopf: Vielleicht würde Jonas von dem Klingeln wach, und sie fragte sich, ob sie es nicht darauf ankommen lassen sollte. Wenn Jonas einmal wach war, würde er nur noch an ihrer Seite einschlafen, das wußte auch Oliver, und jeder Gedanke an Sex wäre vom Tisch. Doch drittens (all das ging ihr in den zwei oder drei Sekunden nach dem ersten Klingelzeichen durch den Kopf) würde niemand nach zehn Uhr anrufen, es sei denn aus einem wichtigen Grund.
    Oliver spürte, daß sie das Gespräch entgegennehmen wollte und sagte: »Verflucht, Do, wahrscheinlich ist es deine Mutter, die sich langweilt.«
    Sie sagte: »Ich mache es kurz«, und hob ab. Es war ihr Vater. »Oh   … hallo«, sagte sie. Sie brauchte ein paar Sekunden, um sich darauf einzustellen. »Wie geht es dir?«
    »Nicht besonders«, sagte ihr Vater mit müder Stimme, er erwartete Zuwendung. »Das weißt du ja.«
    »Ja   … ich meine, nein. Ist denn etwas geschehen? Nimmst du deine Tabletten?«
    »Wieso fragst du mich, ob ich meine Tabletten nehme? Ist das alles, was dir einfällt, wenn ich sage, daß ich mich nicht wohl fühle? Das kenne ich nur von deiner Mutter. Habe ich euch gestört?«
    »Nein, nein. Wir haben gelesen.«
    Oliver stand auf und schloß den Bademantel. Im Hinausgehen sagte er halblaut, aber so, daß sie es deutlich verstehen |21| konnte: »Zum Teufel, Do, warum kannst du denn nicht einfach mal unkompliziert scharf sein?«
    Ihr Vater fragte: »War das Oliver? Was hat er gesagt?«
    »Ich soll dich von ihm grüßen«, sagte Do.
    »Wie läuft es bei euch?«
    »Gut, Papa.«
    »Deine Mutter hat eine völlig unrealistische Vorstellung von Medikamenten. Seit wir uns kennen, liegt sie mir damit in den Ohren«, sagte er. »Medikamente können Menschen nicht ändern, selbst Drogen können das nicht.
Wenn
sich jemand mit Medikamenten auskennt, dann ja wohl ich. Ich weiß seit dreißig Jahren, daß mein Serotoninspiegel bestimmten Schwankungen unterliegt. Das ist ein funktionelles Problem, dem man Rechnung tragen muß, so wie man beim Auto regelmäßig den Ölstand zu kontrollieren hat. Ich weiß damit umzugehen und komme mit meinen MA O-Hemmern bestens klar.«
    »Papa, hast du angerufen, um mir das zu sagen?«
    Nach einer Pause sagte er: »Entschuldige. Heute war so ein schöner Tag. Es wird
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