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Die Reise zu den Elfeninseln

Die Reise zu den Elfeninseln

Titel: Die Reise zu den Elfeninseln
Autoren: Martin Scott
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1. KAPITEL
    Es ist weit nach Mitternacht, und die Luft in der Kaschemme ist zum Schneiden dick von Thazisschwaden. Der Tisch vor mir biegt sich unter dem Gewicht des Geldes, das sich im Topf befindet. Einmal in der Woche trifft sich in der Rächenden Axt eine Raff-Runde, aber bisher sind die Einsätze bei einem einzelnen Spiel noch nie so hoch gewesen. In dieser Runde sind wir noch zu sechst, und Hauptmann Rallig ist der Nächste, der mitgehen muss. Er starrt lange in seine Karten.
    »Thraxas blufft vermutlich mal wieder«, verkündet er schließlich und schiebt seine fünfzig Gurans in den Topf.
    Neben ihm sitzt der Alte Grax, der Weinhändler. Grax ist ein sehr gewiefter Kartenspieler. Er hat General Acarius einmal tausend Gurans abgeknöpft, und General Acarius gilt allgemein als der beste Spieler der turanianischen Armee. Es ist schwer auszurechnen, was der Alte Grax im Schilde führt. Die siegessichere Pose, mit der er sein Geld in die Mitte des Tisches schiebt, legt nahe, dass er ein fantastisches Blatt auf der Hand hat. Ich bin mir da aber nicht so sicher. Ich glaube nämlich, dass er derjenige ist, der hier blufft.
    Draußen ist es dunkel und still. Der Eingang der Rächenden Axt ist zugesperrt. Das Licht des Kaminfeuers und das der blakenden Fackeln an der Wand flackert über die Gesichter der etwa ein Dutzend Kiebitze. Sie nippen schweigend an ihren Getränken und beobachten gebannt, wie sich das Spiel dem spannenden Höhepunkt nähert.
    »Ich steig aus«, sagt Ravenius, ein junger Bursche aus der Oberstadt, der uns fast jede Woche beehrt. Er gehört zwar zu den großen Verlierern dieser Nacht und wirkt entsprechend enttäuscht, aber da er der Sohn eines wohlhabenden Senators ist, wird er nächste Woche mit einem frisch gefüllten Geldbeutel wiederkommen.
    Ghurd gehört die Kaschemme, und auch er spielt mit. Jetzt ist er dran. Das Kaminfeuer heizt uns ganz schön ein, und Ghurd steht der Schweiß auf der Stirn. Er schiebt ein paar Strähnen seines grauen Haars zur Seite und hält stumme Zwiesprache mit seinem Blatt. Die Karten wirken winzig in seinen riesigen Pranken. Ghurd ist ein Barbar aus dem Hohen Norden. Als wir beide jünger waren, haben wir zusammen als Söldner gekämpft. Und Raff gespielt. Ghurd ist ein sehr kluger Spieler. Außerdem glaubt er, dass er alles über meine Tricks und Finessen am Kartentisch weiß, was es zu wissen gibt. Tut er nicht.
    »Ich geh mit«, knurrt er und schiebt mit seinem muskulösen Arm seinen Einsatz in die Mitte.
    Hauptmann Rallig setzt eine Flasche Bier an die Lippen und trinkt. Zwei seiner Leute sitzen direkt hinter ihm, vollkommen auf das Spiel konzentriert. Es sind Zivilgardisten; sie sind immer noch in Uniform, sogar ihr Schwert haben sie noch am Gürtel. Tanrose ist die Köchin der Kaschemme. Sie hat mittlerweile ihren angestammten Platz hinter der Theke verlassen und ist näher gekommen, um das Spiel besser verfolgen zu können.
    Als Letzter ist Donax an der Reihe, ein Unterhäuptling der örtlichen Niederlassung der Bruderschaft. Das ist eine sehr einflussreiche kriminelle Vereinigung, die den südlichen Teil von Turai kontrolliert. Es kommt nicht oft vor, dass man Hauptmann Rallig mit einem Bruderschafts-Unterhäuptling friedlich am selben Tisch sitzen sieht. Im Gegensatz zu den meisten unserer Beamten ist der Hauptmann viel zu aufrichtig, um sich mit Persönlichkeiten der Unterwelt zu verbrüdern. Andererseits spielt er gerne Raff, also macht er für unser wöchentliches Treffen eine Ausnahme.
    Normalerweise würde sich auch Donax nicht mit mir an einen Tisch setzen. Die Häuptlinge der Bruderschaft mögen keine Detektive. Und mehr als einmal hat Donax bereits gedroht, mich umzubringen. Für Conax, seinen ungeschlachten Handlanger, der direkt hinter ihm hockt, wäre es die Erfüllung eines lang gehegten Herzenswunsches, wenn er mich mit seinem Schwert ausweiden dürfte. Aber da muss er noch ein bisschen warten. In dieser Runde wird keine Gewalt geduldet. Das ist auch der Grund, warum sie so unterschiedliche Charaktere wie steinreiche Weinhändler und Senatorensöhnchen nach ZwölfSeen lockt. Gewöhnlich schlagen sie einen möglichst großen Bogen um dieses raue Viertel.
    Donax wirft einen Blick in die Runde und zupft an seinem Ohrring. Das könnte ein Zeichen für seine innere Anspannung sein. Oder auch nicht. Donax ist nur sehr schwer zu durchschauen. Wir warten, bis er sich entscheidet. Wir warten lange, schweigend.
    »Ich gehe mit«, knurrt er endlich.
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