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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer
Autoren: Ulrich Woelk
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ihr nicht.
    »Er geht nach Wien.«
    »Nach Wien?«
    »Er hat dir nichts davon gesagt?«
    Hatte er? Do füllte Messer und Gabel in den Besteckkorb. »Es ist wohl besser so.«
    Oliver sagte: »Er hat mir ein Geschenk gemacht. Dieses Radio, das er in seiner Wohnung hatte. Es steht jetzt bei mir im Laden und macht sich nicht schlecht. Ein Wilcox-Gay Röhrenempfänger. Er meinte, er liege ihm sehr am Herzen. Und er meinte übrigens,
du wüßtest, wieso

    Do hätte beinahe darüber gelacht. Sie räumte gerade einen Teller in die Maschine, und Oliver bekam nicht mit, daß sie amüsiert war. So war er. Balthasar, der Röhrenempfänger. Und sie liebte ihn schon fast wieder dafür, daß er es allen Ernstes fertig brachte, seine Existenz auf einen Kalauer zu reduzieren. Dieser eigenartige, obszöne Mann. |296| Oliver sagte: »Wir sollten über dich und Schrödinger sprechen.«
    Sie richtete sich auf: »Wir könnten auch über dich und deine Geliebte sprechen. Aber weißt du, ich hatte viel Zeit nachzudenken.«
    Oliver unterbrach sie. »Do, er hat mir eine Flasche Rotwein für dich mitgegeben.
Als Erinnerung an irgendein Tête-à-tête

    Do kam ruhig zum Tisch. »Sag mir nicht, daß du annimmst, ich sei für eine Flasche Rotwein zu haben.« Er schwieg. Nach einer Weile fuhr sie fort: »Oliver, ich glaube, das ist unser Problem. Wir haben wirklich die Orientierung und die Maßstäbe verloren. Und ich sage bewußt:
wir
. Ich sage dir etwas sehr Schlichtes. Ich habe meine Eltern erlebt, und ich will nicht, daß es so endet.«
    Er sagte: »Wir schlafen seit einem halben Jahr nicht mehr miteinander.«
    Sie nickte. »Das weiß ich. Und du meinst, es liegt an mir?«
    Die Frage irritierte ihn. »An wem denn sonst? Was willst du von mir hören? Daß du eine attraktive Frau bist. Soll ich vor dir auf die Knie fallen?«
    »Das ist gar keine schlechte Idee«, sagte sie und setzte sich. »Und sie steht nicht einmal auf meiner Liste. Vorhin im Flugzeug sind mir fünf Punkte durch den Kopf gegangen, an die wir uns halten sollten. Es ist eine Art Plan, um unsere Ehe zu retten. Bist du interessiert?« Draußen begann es leise zu regnen, und sie fuhr fort: »Erstens: Ich will
nicht
wissen, mit wem du deine Affäre hattest, aber wenn du sie fortsetzt, werde ich mich scheiden lassen. Zweitens: |297| Ich will kein Wort mehr von dir über mich und Schrödinger hören. Ich könnte einiges darüber sagen, und es stimmt, daß nicht alles davon für dich erfreulich wäre. Aber ich möchte, drittens, daß wir wirklich neu anfangen. Ich möchte nicht, daß wir für den Rest unseres Lebens alte Gefechte austragen und von bestimmten vorgefertigten Bildern voneinander nicht mehr loskommen. Es ist furchtbar, ich könnte es nicht ertragen. Viertens: Fang wieder an, mich zu zeichnen! Als wir uns kennengelernt haben, konntest du gar nicht aufhören damit, und das war mindestens so gut wie Sex. Es geht eben nicht nur darum, bestimmte Pinsel in bestimmte Töpfe zu stecken – das ist
meine
Auffassung und die der überwiegenden Mehrheit meines Geschlechts.«
    »Und du glaubst, das wird funktionieren?«
    »Was wäre denn die Alternative?«
    Nach einer Weile sagte er: »Was ist mit dem letzten Punkt. Du hast von fünf Punkten gesprochen.«
    Sie sah ihn an. »Fünftens: Du wirst nie wieder zaubern.«
    Do schlüpfte aus ihren Hausschuhen und stieg die Treppe hinauf. Die Holzdielen unter ihren Fußsohlen waren warm und eskortierten ihren Weg ins Schlafzimmer mit vertrautem Knarren. Sie öffnete das Fenster und ließ frische Luft ein. Der Regen wisperte seine sanfte, magische Philosophie in den Kronen der Sommerlinden. Der intensive Geruch des feuchten Rasens würde Do für immer an ihre Kindheit erinnern. Daran, wie ihr Vater den Rasen gemäht hatte, Zeile für Zeile, so wie man ein Buch las. Die zwei Wochen bei ihrem Vater hatten sie pathetisch gemacht. |298| Sich lieben, Kinderkriegen, operiert werden – alles war eigentlich doch pathetisch. Im Garten erkannte sie einzelne Gehölze, die Eibe und den inzwischen verblühten Flieder, feuchtschimmernd unter dunklem Wolkenlila. Sie dachte: Kein Therapeut der Welt würde meinem Vorschlag, den Mantel des Schweigens über ein halbes Jahr voller Fehler zu decken, auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg einräumen. Sie hörte Oliver in der Küche hantieren. Sie hatte ihn gefragt, ob er Angst davor habe, den Rotwein zu öffnen? –
Wieso Angst
? –
Die Flasche stammt von einem Zauberer
. – Eine Zeitlang hatten sie
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