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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer
Autoren: Ulrich Woelk
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brachte sie dazu, nachdem sie sich vorgestellt hatte, noch hinzuzufügen: »Meine Freunde nennen mich Do.« Das kam ihr sofort unpassend vor, weil sie ihm damit dieses Do, das zudem noch klang wie ein Du, zu früh und zu unmotiviert anbot.
    |40| »Do   …«, sagte Schrödinger sinnierend und ohne ihre Hand loszulassen. »In der Musik bezeichnet man mit Do das C, den lichtesten und wirklichsten aller Grundtöne.« Er betrachtete sie wie einen faszinierenden, noch ganz und gar unerforschten Gegenstand. »Ich bin mir aber nicht sicher, ob Ihnen das Do tatsächlich entspricht. Es gibt nur sehr wenige echte Do-Charaktere: glückliche Seelen, gewiß. Aber eigentlich ist es ja das Unsichtbare, das Geheimnisvolle, das uns als Menschen interessant macht.« Dann richtete sich seine Aufmerksamkeit auf drei Kohlezeichnungen, flüchtig aufs Papier gewischte Aktstudien, die an der linken Zimmerwand in silbernen Wechselrahmen über einem dekorativen Rosenholzbüffet aus den zwanziger Jahren hingen. Er geriet sofort ins Schwärmen: »Sind das Originale? Die sind ja großartig! Diese verblüffende Leichtigkeit der Linienführung. Irritierend beiläufig und doch: ein grandioser Dialog von Beobachtung und Gestaltung! Ein verblüffendes Nebenhin von reinster weiblicher Schönheit. Perfekt! Von wem stammen diese Studien? Es
sind
doch Originale, oder?«
    »Der Künstler ist anwesend!«, verkündete Helma.
    Oliver wurde nicht gern auf seine Zeichnungen angesprochen. Im Freundeskreis erntete er viel Lob für diese Arbeiten, die wirklich nur nebenbei entstanden. Doch gelegentlich dachte er, daß dieses Lob sein Leben als Optiker und Familienvater herabsetzte. Er sagte: »Hin und wieder zeichne ich, aber in letzter Zeit komme ich nur noch selten dazu.«
    Schrödinger war voller aufrichtiger Bewunderung. »Ja,
leben
Sie denn nicht von Ihren Bildern? Ich bin sicher, |41| diese Blätter würden weggehen wie warme Semmeln. Ich habe in meinem Haus, wie Sie sich vielleicht denken können, zur Zeit eine Menge weiße Wände. Haben Sie noch mehr von diesen fantastischen Studien? Sie treffen da genau meinen Geschmack.«
    Ein schwer einzuordnender Hauch (österreichischer?) Melodik machte seine Sätze weich und gefällig. Do betrachtete den Mann mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen. Alles an ihm war auf eine unaufdringliche Art gewinnend, und es schien ihr instinktiv notwendig, auf Distanz zu seinem Wesen zu gehen. Sie vergegenwärtigte sich die Tatsache, daß Schrödinger rund zwanzig Jahre älter sein mußte als sie. Helma servierte als Vorspeise ein mit Limettensaft beträufeltes Seeteufelcarpaccio und erkundigte sich, ob der Zauberer sich in seinem Haus eingelebt habe.
    Schrödinger sagte: »Ich habe lange gesucht, um ein Haus wie dieses zu finden. Es ist die Verwirklichung einer philosophischen Idee, des Urprinzips von wohnen. Wußten Sie, daß
wohnen
sprachlich mit dem Verb
gewinnen
zusammenhängt, das auf die indogermanische Wurzel
wen
zurückgeht, die ursprünglich die Bedeutung von verlangen, begehren, lieben hatte? Das altindische
vanati
kommt daher, das ebenfalls begehren und lieben heißt, und vanas – Verlangen, Lust, woraus sich wiederum das lateinische
venus
, der Liebesgenuß, und schließlich der Name der Liebesgöttin entwickelt hat. Die Vanitas, die Eitelkeit, stammt daher, aber auch unser Wort
wün
schen. Und im Gotischen bedeutete
gawinnan
zeitweise sich quälen, leiden, aber auch erobern, erringen!«
    |42| Mark, für den Eigenheime in erster Linie zu finanzierende Objekte waren, hob die Augenbrauen. »Na so etwas! Ein so harmloses Wort wie wohnen.«
    »Ganz harmlos war es nie«, sagte Schrödinger. »Lange Zeit war einander bei
wohnen
ja ein Synonym für die Liebe.«
    Do sagte: »Ihr Haus ist sehr geometrisch. Und Mathematik ist nicht gerade das, was man mit Liebe und Magie verbindet.«
    Er lächelte wieder. »Do, ich verrate Ihnen gleich ein Geheimnis über mich. Naturwissenschaftlern, insbesondere Physikern, ist mein Nachname sehr geläufig. Es war ein gewisser Erwin Schrödinger, der in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine berühmte Gleichung aufgestellt hat. Sie heißt bis heute Schrödinger-Gleichung. Diese Gleichung ist Mathematik, gewiß Do, und doch ist sie zugleich der Schlüssel zum Reich der Magie!«
    Das letzte Wort verhallte parallel zum Verlöschen der letzten Sonnenstrahlen. Eben noch hatten alle Gesichter sowie Helmas Tischdekoration aus miteinander verflochtenen Efeuranken und
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