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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer
Autoren: Ulrich Woelk
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setzte dabei nicht wirklich etwas aufs Spiel. Denn selbst wenn das Bild oder Musikstück, das dabei entstünde, als Kunstwerk nicht groß und geheimnisvoll wäre, sondern möglicherweise sogar schlecht und durchschaubar, so kann man doch sagen: Ein schlechtes, ein durchschaubares Bild ist immer noch ein Bild. Und ein schlechtes und durchschaubares Musikstück ist und bleibt ein Musikstück. Aber – und das ist der große, unabänderliche Unterschied – ein schlechter, ein durchschaubarer Zauber ist
kein Zauber
mehr. Ein schlechter, ein durchschaubarer Zauber ist nichts, ist ein beschämendes Scheitern, eine peinliche Niederlage gegen die Natur, ein unelegantes blamables Herummanschen in der Realität.«
    Do hatte inzwischen jedes Gefühl für die Realität verloren. Irgendwann schien es ihr, daß es Zeit war, sich zu verabschieden. Und als würde die Welt ihrem benebeltem Bewußtsein gehorchen, standen alle auch schon im Terrakotta-Flur des Kienapfelschen Hauses. Balthasar Schrödinger bedankte sich warmherzig und mit formvollendeter Höflichkeit für den »wunderbaren Abend« und löste sich sodann irgendwie auf. Oliver küßte mit blassen angespitzten Lippen die sich zu ihm hinabbeugende Helma auf beide |49| Wangen, und Mark betätigte sich plump, linkisch und feucht auf die gleiche Weise bei Do. Dann standen sie in der kühlen Frühlingsluft auf der Straße, beduselt und desorientiert. Oliver legte ihr den Arm um die Schultern und schob sie durch das Spalier aus clematisberankten Gartenzäunen und Straßenlaternen in Richtung Schlafzimmer.
    »Ich habe zuviel getrunken«, sagte sie.
    »Kann schon sein.« Sie hörte, daß Oliver sich über sie ärgerte. »Dieser Schrödinger ist ein alter geiler Sack.« Er wurde immer drastisch, wenn er etwas nicht verstand.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Du hast ihn angehimmelt.«
    »Ach ja? Er ist irgendwie unterhaltsam. Du übertreibst.« Unterschwellig bereitete es ihr Vergnügen, sich beschuldigen zu lassen.
    Oliver sagte: »Er hat einen widerlichen Charme.«
    »Der Charme des einen ist die Plumpheit des anderen.«
    »Du bist wirklich betrunken.«
    »Wer hat mit diesem unsinnigen Gespräch denn angefangen?«
    »Mir gehen diese geilen alten Säcke auf die Nerven.«
    »So alt ist er gar nicht.«
    »Mitte sechzig oder so.«
    »Du täuschst dich,
höchstens
fünfundfünfzig.«
    »Das ist lächerlich, Do.«
    »Was willst du eigentlich?«
    »Ich möchte herausfinden, ob ich in meinem Leben noch mal auf Sex mit meiner Frau hoffen darf.«
    »Ich habe zuviel getrunken.«
    »Das ist ziemlich ernüchternd.«
    |50| Daß sie seit ein paar Wochen keinen Sex mehr gehabt hatten, war nicht zu leugnen. Oliver berief sich auf den unbestreitbaren Nutzen ehelicher Ritualisierungen, aber Do erwartete, daß er wenigstens den Versuch unternahm, sie zu
verführen
. Irgendwann würde er vielleicht einsehen, daß man Sex nicht einfach einfordern konnte wie andere Formen von kommunikativer Zuwendung, auch nicht von seiner Ehefrau.
    Vielleicht hätte sie seinem Drängen nachgegeben, wenn ihr dieser Punkt nicht so wichtig gewesen wäre: Er sollte endlich begreifen, wie es in ihr aussah, und das war den Einsatz von ein paar Wochen Sexlosigkeit wert. Mit seinen einundvierzig Jahren war es für ihn Zeit, daß er anfing, über
ihre
Wünsche nachzudenken. Es reichte nicht, darauf zu beharren, daß Sex nun einmal das sei, was Ehepaare von Zeit zu Zeit zu haben pflegten. Wenn sich Olivers bisherige Strategie des Klagens und Jammerns als dauerhaft erfolglos herausstellen würde, sagte sich Do, würde er sich auf seine Gefühle besinnen.
    Sie konnte einfach nicht aufhören zu glauben, daß die Welt im innersten bereit war, ihre Sehnsucht nach einer bestimmten Mischung aus seelischem und sinnlichem Glück in irgendeiner Weise zu respektieren. Sich zu lieben lag im Bereich des Möglichen – das war es, was sie fühlte. Sie konnte sich vorstellen, in Olivers Armen zu liegen und mit Lust die Küsse zu empfangen, mit denen er ihren Leib bedeckte, weinend vor Bewunderung und Hingabe, weinend vor Glück. Und was man sich vorstellen konnte, mußte Wirklichkeit werden können. Hatte denn das nicht der Zauberer gesagt?

|51| 4
    An einem verregneten Maimorgen saß Oliver in seinem Geschäft und wartete auf Kundschaft. Der Regen tauchte Berlin in das eintönige Grau feuchter Gehwegplatten, während die Halogenlampen seinen Laden mit gleichmäßiger angenehmer Helligkeit erfüllten. Es war nicht das Wetter, um eine Brille zu
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