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Coq 11

Coq 11

Titel: Coq 11
Autoren: Guillou
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Prolog
    Die erste Version war offensichtlich gelogen. Offensichtlich schon deshalb, weil sie aus sogenannten »westlichen diplomatischen Kreisen« stammte – mit anderen Worten von der CIA in der amerikanischen Botschaft in Moskau. Zum anderen war diese Erklärung für den Tod von einhundertachtzehn russischen Matrosen und Offizieren an Bord des Atom-U-Boots Kursk etwas zu primitiv. Es hieß, ein mit Wasserstoffperoxid betankter Torpedo älteren Typs habe sich selbst entzündet und die fürchterliche Explosion verursacht, die zum Untergang des U-Bootes führte. Die Nato verwendete diese Torpedos wegen ihrer Unzuverlässigkeit seit über fünfzig Jahren nicht mehr.
    Vielleicht war die Erklärung nur ein derber Witz eines CIA-Angestellten in irgendeiner Abteilung für politische Analyse und Desinformation. Denn die Kursk stellte gerade deshalb eins der wichtigsten Spionageziele der westlichen Welt dar, weil sie mit modernen Waffen ausgerüstet war, die allen Seestreitkräften der Nato und anderer westlicher Länder erschreckend überlegen waren.
    Bereits 1995 hatten russische Wissenschaftler ein Torpedoproblem gelöst, mit dem sich Forscher und Entwickler seit der Erfindung dieser Waffe im 19. Jahrhundert herumgeschlagen hatten.
    Ein Torpedo war im Prinzip nie mehr als eine längliche Bombe mit einer Sprengladung vorne und einem Propeller hinten gewesen. Immer wieder hatte man neue Methoden entdeckt, die Sprengkraft zu vervielfachen, die Steuerung zu verbessern und die Antriebskraft zu erhöhen. Doch im Grunde hatte sich zwischen den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts, als sich die Torpedos vierzig Kilometer pro Stunde vorwärtsbewegten, und den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts, abgesehen von der doppelten Geschwindigkeit, nicht viel verändert.
    1995 stellte der russische Wissenschaftler Anatolij Pawkin den von ihm entwickelten Torpedo VA-111 Schkwal (Orkan) vor, der trotz seines beachtlichen Gewichts von zwei Tonnen eine Geschwindigkeit von über fünfhundert Kilometern pro Stunde erreichte.
    Das Problem, das Anatolij Pawkin endlich gelöst hatte, sein großer Durchbruch, hatte mit dem Reibungswiderstand des Wassers zu tun. Ein Metallrumpf traf, wenn man ihn beschleunigte, auf einen exponentiell wachsenden Wasserwiderstand, woraus die scheinbar unüberwindbare Begrenztheit der Torpedogeschwindigkeit resultierte. Was kein strategisches Problem war, solange für alle das Gleiche galt.
    Doch seit 1995 galt nicht mehr das Gleiche für alle. Anatolij Pawkins Erfindung beruhte auf der Idee, etwas anderes als Metall auf den Wasserwiderstand treffen zu lassen. Der neue Torpedo Schkwal bewegte sich in einer Gasblase vorwärts, und Gas war im Wasser schneller als Metall.
    Als das Atom-U-Boot Kursk am 12. August 2000 von dem amerikanischen U-Boot USS Memphis versenkt wurde, war es mit der neuen Version VA-232 Schkwal bestückt, die unter anderem über ein deutlich besseres Steuerungssystem verfügte. Aus diesem Grund waren die beiden Jagd-U-Boote der Los-Angeles-Klasse, USS Toledo und USS Memphis, zu der größten russischen Flottenübung seit sowjetischen Zeiten kommandiert worden. Sie sollten den Test dieser grauenerregenden neuen Waffe ausspionieren.
    Die Anwesenheit der Amerikaner bei der Flottenübung in der Barentssee hatte auch einen politischen Beweggrund. Indem man sich der russischen Großmacht an die Fersen heftete, wollte man seine Verärgerung zum Ausdruck bringen beziehungsweise der Kursk drohen. Damit war die USS Memphis beauftragt. Das andere amerikanische U-Boot, die USS Toledo, sollte sich noch näher anpirschen, von der Seite Tonaufnahmen machen und exakte Messungen vornehmen, sobald die Russen einen Schkwal abfeuerten.
    Wäre dieser Torpedo im Kalten Krieg zum Einsatz gekommen, hätte er mit einem Schlag das seemilitärische Kräftever­hältnis aus dem Gleichgewicht gebracht. Er hätte der Sowjet­union die Herrschaft auf den Meeren garantiert, weil kein Flug­zeugträgergeschwader mehr vor ihm sicher gewesen wäre. Das Versenken von Flugzeugträgern war die Hauptaufgabe des Schkwal-Torpedos, und unter den Streitkräften innerhalb der Nato war bislang kein Gegenmittel bekannt.
    Das war der wahre Grund, warum einhundertachtzehn russische Matrosen und Offiziere zwischen dem 12. und dem 20. August des Jahres 2000 starben. Man wusste, dass dreiundzwanzig Männer eine gewisse Zeit hinter dem neunten wasser­dichten Schott im Heck des U-Boots überlebt hatten. Sie klopften an den Rumpf, um SOS-Signale zu
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