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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne
Autoren: John Harvey
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schnell wieder.
    »Beatrice, alles in Ordnung. Ich heiße Ellie. Ich bin Polizistin. Du bist jetzt in Sicherheit. Du kannst nach Hause.«
    Ganz langsam wurde die Decke nach unten gezogen, undin diesem Augenblick erschien Will als Schatten in der Türöffnung. Das Mädchen packte Ellies Arm und grub die Finger in ihre Haut.
    »Keine Angst. Das ist auch ein Polizist.«
    »Alles in Ordnung?«, fragte Will.
    »Mir geht’s gut. Uns geht’s gut.«
    »Also gut.« Der Schatten verschwand.
    Ellie griff nach der Hand des Mädchens. »Komm, lass uns gehen. Weg von hier. Brauchst du Hilfe beim Aufstehen? Ganz ruhig, ganz ruhig. Das ist es. Gut. Ich habe dich. So ist es gut. Stütz dich auf mich.«
    Als er sah, wie sie ins Licht und auf die stille Straße hinaustraten, musste Will sich abwenden, um nicht von Tränen überwältigt zu werden.
     
    Später würde Ruth sagen, dass sie wusste, was kommen würde, als sie hörte, wie Anita Chandra ihren Namen am Telefon sagte. Es war der Tonfall.
    »Mrs Lawson, Ruth, es gibt gute Nachrichten.«
    Und als sie nicht sehr viel später   – obwohl es natürlich eine ganze Ewigkeit zu sein schien   – Beatrice nach fast neun Tagen wiedersah, glaubte sie, etwas in ihr würde zerbrechen. Ihre Tochter sah blass, nervös und erstaunlich klein aus, wie sie da zwischen Helen und Ellie ging und Ellies Hand festhielt.
    Beatrice klammerte sich fast bis zu dem Punkt an Ellies Hand, wo Ruth und Andrew warteten, beide fast blind vor Tränen, und erst, als es nur noch ein paar Schritte waren, wagte sie Ellies Hand loszulassen und sich in die Arme ihrer Eltern zu werfen. Die drei umfingen sich, schluchzten, alle schluchzten, Ruth beugte sich nach unten, Andrew war auf den Knien, Beatrice dazwischen   – gedrückt, umarmt, geliebt.
    Das waren die Bilder, die in den Zeitungen erscheinen würden, auf den Titelseiten, in alle Welt verkauft. Der Fotograf, der den Tipp erhalten hatte, zahlte gerne für die Information, die sich als hübsche Einnahmequelle erwies, und warum auch nicht, verbreitete sie doch Freude von Reykjavik bis Port Stanley. Gute Nachrichten, die gab’s wirklich nicht allzu häufig.
     
    Als Will zu Jim Straley stieß, der nach Padnal Fen vorausgefahren war, war niemand da: die Türen verschlossen, die Fenster verriegelt, die Nebengebäude leer. Sein erster Gedanke war, dass Pierce irgendwie Wind von dem bekommen hatte, was passiert war, und sich abgesetzt hatte, solange es noch ging. Dass er sich aus dem Staub gemacht hatte. Dann aber zeigte Straley auf die Straße, wo ein grauer Toyota Corolla langsam auf das Haus zufuhr. Offenbar ein vorsichtiger Fahrer, dreißig Meilen die Stunde oder noch weniger.
    Außer Sichtweite warteten sie, bis das Auto zum Stillstand kam, Pierce ausstieg, in den Kofferraum griff, sich aufrichtete und auf das Haus zuging, eine Einkaufstüte aus Plastik in jeder Hand.
    »Das ist ja ganz schlecht für die Umwelt«, sagte Straley, der in diesem Moment auf Pierce zutrat.
    Erschrocken ließ Pierce eine der Tüten fallen, und einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte er zurück zum Auto stürzen. Kekse, Mineralwasser, Fairtrade-Müsliriegel und Dosenmais kullerten auf den staubigen Boden.
    Will bückte sich und hob ein Paket Vollkornkekse auf. »Legen Sie Vorräte an?«
    »Ja, ich wollte nur   … ein paar Sachen   … sind mir ausgegangen.«
    »Die mag sie, oder?«
    »Was   …? Was meinen Sie? Ich verstehe nicht.«
    »Beatrice. Die hat sie gern? Diese Vollkornkekse? Die ohne Schokolade?«
    »Bitte, bitte, ich   …«
    »Ja?«
    Pierces Augen sahen wie die eines Vogels aus, der unbedingt wegfliegen wollte. Sein Körper zitterte unter seinen schlecht sitzenden Kleidern. Als Will an ihn herantrat, drehte er den Kopf plötzlich zur Seite, taumelte nach vorn und übergab sich heftig, Erbrochenes kam ihm aus Mund und Nase.
    »Jim, bringen Sie ihn ins Haus. Er soll sich saubermachen. Ich will nicht, dass er den Wagen vollstinkt.«

74
     
    Der Arzt, der Beatrice untersuchte, stellte fest, dass sie in guter Verfassung war, zumindest körperlich. Es gab keine Anzeichen, dass sie geschlagen oder missbraucht worden war. Ihre Ernährung, weitgehend bestehend aus Frühstücksflocken, Dosenpfirsichen, Käse, Brot, Wasser und dicken Bohnen, hatte ausgereicht, um sie in der Gefangenschaft am Leben zu halten. Was alles andere betraf, sagte er zu Ruth, würden sie die Dinge nehmen müssen, wie sie kamen, jeden Tag neu. Die Familienberatung stimmte dem zu. Passen Sie auf
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