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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne
Autoren: John Harvey
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vor. Ein ausgebautes Dachgeschoss, davon gab es genug. Aber nachdem sie etwas in der Stadt angesehen hatten   – nicht größer als ihr eigenes Haus, aber fast doppelt so teuer   – und von Ely aus nach Osten gefahren waren, war ihnen ein Schild mit der Aufschrift
Zu verkaufen
aufgefallen. Es führte sie von der Hauptstraße weg und stammte nicht von einem Makler, sondern von dem Eigentümer persönlich, einem Bauherrn mit einem Blick für Gestaltung, der das Land vor zwei Jahren gekauft und das Haus   – einfach, klare Linien, helles Holz und Glas   – als Traumhaus für seine Frau gebaut hatte. Es war wohl eher sein Traum gewesen als ihrer, wie sich herausgestellt hatte.
    Will gefiel die hölzerne Veranda, die an der Rückseite des Hauses verlief, die angenehme Atmosphäre der Räume, die hohen breiten Fenster, aus denen man die Kathedrale von Ely und die langsam untergehende Sonne sehen konnte.
    »Also, was denkst du?«, hatte er Lorraine gefragt und voller Freude die Antwort in ihren Augen gelesen.
    Sobald der Reiz des Neuen vergangen war, waren sie überzeugt davon, einen Fehler gemacht zu haben. Will war fast im Zentrum von Cambridge stationiert, in der Polizeidienststelle an der Parkside, und an manchen Tagen   – an den meisten   – dauerte die Fahrt noch länger, als er erwartet hatte. Lorraine, die nur ein Krabbelkind zur Gesellschaft hatte,fühlte sich in den langen Stunden seiner Abwesenheit vom Leben abgeschnitten. Sie glaubte, sie würde langsam den Verstand verlieren. Manchmal dachte sie, es ginge sogar ganz schnell.
    »Okay«, hatte Will dann gesagt. »Wir verkaufen. Begrenzen den Schaden. Suchen uns was anderes.«
    Sie waren geblieben. Nach und nach, fast widerstrebend, fand Lorraine andere Frauen im Dorf, andere Mütter, mit denen sie gemeinsame Interessen hatte. Will wurde fest als Detective Inspector ins Morddezernat übernommen, und er brachte Detective Sergeant Helen Walker als seine Nummer Zwei mit   – eine gute Arbeitsbeziehung, die sich inzwischen fast fünf Jahre lang bewährt hatte. Wie lange Will an ihr festhalten konnte, bis sie selbst einem Kommando vorstehen würde, wusste er nicht.
    In letzter Zeit hatte er gemerkt, dass Helen irgendetwas quer lag, dass ihre Zunge spitzer und ihr Temperament aufbrausender denn je waren. Und vielleicht war es das. Ein Mangel an Anerkennung. Vielleicht hatte sie sich zu lange in seinem Kielwasser bewegt.
    Vierzig Minuten nachdem er aufgebrochen war, kehrte Will mit schmerzenden Muskeln, klarem Kopf und an der Haut klebendem Unterhemd ins Haus zurück; er duschte schnell, rubbelte sich ab und ging dann zum Frühstück in die Küche, wo Jake sich Rice Krispies in den Mund löffelte, als gäbe es kein Morgen, und Susie es schaffte, mehr von dem Brei aus ihrer Schale in ihr Haar zu befördern als sonstwohin.
    Will schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein und strich Marmelade auf seine letzte Scheibe Toast; Lorraine war oben und gab ihrem Gesicht den letzten Schliff. Drei Tage die Woche arbeitete sie im Sekretariat des King’s College, und an den betreffenden Tagen lieferte sie Susie bei einer Tagesmutterab, bevor sie Jake in die Grundschule brachte, von der ihn die Tagesmutter nach dem Unterricht abholte.
    Will trank die restlichen Schlucke Kaffee, spülte den Becher aus und bückte sich dann, um Jake kurz zu umarmen und ihm einen Kuss auf den Kopf zu drücken. »Hab einen schönen Tag in der Schule. Streng dich an!«
    »Okay.«
    Susie streckte die Arme nach ihm aus, und es gelang ihm, sie auf die Wange zu küssen, ohne dass sein Hemd von ihren klebrigen Fingern Breiflecken bekam.
    »Dad?« Jakes Stimme ließ Will an der Tür innehalten. »Können wir Fußball spielen, wenn du heute Abend nach Hause kommst?«
    »Klar.«
    Wenn sie die Vorhänge in der Küche und im Wohnzimmer offen ließen, hätten sie so viel Flutlicht, wie sie brauchten. Jake würde Manchester United sein, wahlweise Rooney oder Ronaldo, während Will zu Cambridge United verdammt war. Gelinde gesagt, ein ungleiches Match.
    Als Will in die Diele trat, war Lorraine fast unten an der Treppe angekommen.
    »Gehst du schon?«, fragte sie.
    »Ich muss.«
    »Kommst du spät nach Hause?«
    »Nicht später als sonst.«
    Sie kam in seine Arme, und als er den Kopf zu ihr beugte, küsste sie ihn leicht auf die Lippen und trat zurück. »Später, okay?«
    Will lachte. »Kann ich dich beim Wort nehmen?«
    »Träum weiter!«
    Immer noch lachend zog er seinen Mantel vom Haken und trat durch
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