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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne
Autoren: John Harvey
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»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich hat er gehofft, sie würde ihm dankbar sein.«
    Lorraine seufzte. »Das arme Kind.«
    »Ja.«
    Sie beugte sich vor und küsste ihn, streichelte seinen Arm. »Wenn ich daran denke   …«
    »Ja.«
    Sich zurücklehnend, lächelte sie. »Weißt du noch, was du vor einer Minute getan hast   …?«
    »Das hier?«
    »Könntest du es vielleicht ein bisschen weiter oben machen?«
    Will hielt das für machbar.

75
     
    Plötzlich war es Winter geworden oder so schien es jedenfalls. Statt zu schwanken, ging die Temperatur nach unten und blieb dort: fünf, vier, drei Grad. Die Sonne stand tief am Himmel, wenn sie überhaupt schien. Stehendes Wasser war mit einer hauchdünnen Eisschicht bedeckt. Der Abend schien mitten am Nachmittag zu beginnen. Die menschlichen Überreste, die bei den alten Landarbeiterhäuschen am Rand von Upwell Fen ausgegraben worden waren, erwiesen sich als die von Rose Howard: Mitchell Roberts, der bereits wieder im Gefängnis saß, wurde jetzt des Mordes angeklagt.
    Will verbrachte mehr Zeit mit Lorraine und den Kindern als zuvor, blieb in ihrer Nähe, wann immer er konnte. Helen verspürte eine zunehmende Unruhe wie ein lästiges Jucken, dem mit Kratzen nicht beizukommen ist.
    Es war ein Mittwochmorgen, als Trevor Cordon sie auf ihrem Handy anrief, und es dauerte einen Moment, bevor sie seine Stimme erkannte. »Gerade sind die Ergebnisse aus Birmingham gekommen. Die DNA.   Ich dachte, das möchtest du vielleicht erfahren.« Mehrere Mikrospuren von Blut waren auf Heather Pierces Oberbekleidung gefunden worden, genug, um ein sogenanntes Low-Copy-Profil zu erstellen.
    »Schätze mal, dass du dich mit mir treffen willst«, sagte Cordon. »Um die Sache abzuschließen.«
    »Wann?«
    »Ich sitze schon im Zug.«
    Nordlondon war geschäftig und grau: Menschen flitzten mit gesenktem Kopf hierhin und dorthin, um der Kälte zu entgehen.
    »Dieses Material«, fragte Helen, als sie Cordon traf, »reicht es für eine Verurteilung?«
    »Für sich genommen nicht.«
    Zuerst glaubte sie, Lee Efford sei an diesem Tag nicht bei der Arbeit, da sie ihn im Laden nicht entdecken konnte, aber als sie nachfragte, fand sie heraus, dass er hinten war und dabei half, ein paar neue Lieferungen zu inventarisieren.
    Sie gingen, setzten sich auf dieselbe Bank wie zuvor und trotzten der Kälte. Cordon holte in dem Café auf der Hauptstraße Tee in Plastikbechern. Ihr Atem hing in der Luft, wenn sie sprachen.
    Sinnlos, um den heißen Brei herumzureden.
    »Wir haben Blut auf Heathers Kleidungsstücken gefunden«, sagte Cordon. »Kein Zweifel, dass es von Ihnen stammt.«
    Lee rutschte beinahe der Becher aus der Hand.
    »Sie sollten uns jetzt erzählen, was passiert ist«, sagte Helen. »Nehmen Sie sich Zeit. Wir sind hier, um zuzuhören, das ist alles.«
    Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Sie wollten mehr.
    Lee ließ den Kopf hängen, bat um eine Zigarette und hatte dann Schwierigkeiten, sie anzuzünden.
    »Es gibt nicht viel«, sagte er schließlich. »Nicht viel zu sagen. Als sie verschwunden waren, Heather und Kelly, bin ich ihnen hinterher. Mein alter Herr hatte mich so angeschissen. Und ich hatte ’n schlechtes Gewissen, schätze ich, obwohl sie selber Schuld hatten, weil sie mich verscheißert haben und alles, aber trotzdem   … Ich war ewig da draußen und dann bin ich mehr oder weniger in sie reingelaufen, in Heather, meine ich. Eben noch war keiner da, und plötzlich stand sie vor mir. Hat geweint und alles, die war fix und foxi. Weil, sie hatte nämlich zu Kelly gesagt, bleib, wo du bist, geh nicht weg, aber als sie zurückkam, war Kelly doch weg.Keine Sorge, sage ich zu ihr, und dass ich mit ihr warte, bis der Nebel besser wird oder jemand kommt und uns findet. Ich wusste selber gar nicht mehr, wo wir waren, hatte keinen blassen Schimmer.
    Jedenfalls haben wir uns bei so einem Stück Felsen hingesetzt   – über den sind wir praktisch gestolpert. Und wir sitzen da, und ich merke, dass sie immer noch ’ne Scheißangst hat, weil sie immer noch ’n bisschen weint und zittert, und dann nach ’ner Weile sagt sie, ich soll ihre Hand halten. Das mach ich auch und lege den Arm um sie, nur so zum Knuddeln, wissen Sie, damit sie sich besser fühlt, und dann küsse ich sie plötzlich, ich wollte das nicht mal, hab gar nicht darüber nachgedacht, ich küsse sie also, und sie küsst zurück. Richtig, wissen Sie, wie als wenn sie das schon mal gemacht hat, und ich schätze nach ’ner Weile
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