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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen
Autoren: Jess Walter
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was machen Sie denn?«, fragt sie ihn leise, aber eindringlich.
    Sein Blick zielt an ihr vorbei auf Dee und ihren Sohn. »Ich mache, was ich vorhatte.«
    »Ich dachte, Sie wollen was gutmachen.«
    »Gutmachen?« Verständnislos starrt Michael Deane sie an. »Was denn?«
    »Mein Gott, Michael. Sie haben voll im Leben dieser Leute rumgepfuscht. Sind Sie denn nicht gekommen, um sich zu entschuldigen?«
    »Entschuldigen?« Erneut begreift Michael nicht ganz, worauf sie hinauswill. »Ich bin wegen der Geschichte hier, Claire. Wegen meiner Geschichte. «
    Hinter der Theke hat Dee ihr Gleichgewicht wiedergefunden. Sie bemerkt, dass Michael Deane und seine Assistentin im Wohnbereich über irgendetwas diskutieren. Pat ist bei ihr und stützt sie. Sie drückt seine Hand. »Jetzt geht’s wieder.« Sie lächelt Pasquale zu, der ihre andere Hand hält.
    Es gibt nur drei Menschen auf der ganzen Welt, die das Geheimnis kennen, das sie seit fast fünfzig Jahren mit sich herumträgt und das seit ihrer Rückkehr aus Italien ihr Leben geprägt hat und immer weiter gewachsen ist, bis es den ganzen Raum eingenommen hat, denn jetzt sind in diesem Raum auch die beiden anderen Menschen, die Bescheid wissen. Damals gab es so viele Gründe, das Geheimnis zu bewahren – Dick und Liz, das Urteil ihrer Familie, die Furcht vor den Klatschreportern und vor allem (das kann sie sich jetzt eingestehen) ihren Stolz, den Wunsch, sich von einem Widerling wie Michael Deane nicht unterkriegen zu lassen –, doch im Lauf der Jahre sind all diese Gründe verschwunden, und wenn sie das Geheimnis weiter gehütet hat, dann nur wegen … Pat. Sie dachte, dass es ihn einfach überwältigt hätte. Welches Kind eines Filmstars hatte je eine Chance? In der Zeit seiner Drogensucht war er so zerbrechlich, und seit er clean ist, hat sie das Gefühl, sein Heil hängt an einem seidenen Faden. Sie wollte ihn schützen, und jetzt wird ihr klar, wovor sie ihn schützen wollte: vor diesem Mann, den sie seit fast fünfzig Jahren verabscheut; der in ihr Haus eingedrungen ist und ihren Frieden bedroht; der ihrem Sohn und seiner Freundin die Seele abkaufen möchte.
    Doch sie weiß, dass sie Pat nicht mehr lange schützen kann. Sie fühlt tiefe Schuld, weil sie ihm etwas derart Wichtiges verheimlicht hat, und sie hat Angst, dass er sie dafür hassen wird. Dee blickt zu Lydia, die auch betroffen ist, dann zu Pasquale und schließlich zu ihrem Sohn, der sie so voller Sorge fixiert, dass ihr keine andere Wahl mehr bleibt. »Pat, ich muss … Du sollst … Es geht um …«
    Und schon als sie ansetzt, es ihm zu sagen, spürt sie ein Aufbranden von Freiheit und Hoffnung, weil diese Last endlich von ihr abfällt –
    »… deinen Vater …«
    Pats Augen zucken zu Pasquale, aber Dee schüttelt den Kopf. »Nein«, erklärt sie schlicht. Wieder sieht sie Michael Deane in ihrem Wohnbereich, und es drängt sie, noch einmal gegen ihn aufzubegehren. Der alte Geier soll nicht Zeuge dieses Geständnisses werden. »Können wir vielleicht nach oben gehen?«
    »Klar.« Pat nickt.
    Debra schaut Lydia an. »Du musst auch mitkommen.«
    Und so wird die unglückselige Deane-Party die Erfüllung ihrer Mission nicht erleben; ihre Mitglieder können nur zusehen, wie Lydia, Dee und Pat sich langsam zur Küchentreppe bewegen. Michael Deane nickt Keith unmerklich zu, der Anstalten trifft, ihnen mit seiner kleinen Kamera zu folgen. Die technische Entwicklung und die Verkleinerungsmöglichkeiten sind verblüffend – dieses Gerät von der Größe einer Packung Zigaretten kann mehr als die vierzig Kilo schweren Kameras, vor denen Dee Moray einst gespielt hat –, und auf dem winzigen Display hilft Lydia gerade Debra die Stufen hinauf. Zuerst geht Pat hinter ihnen, doch dann bleibt er stehen und dreht sich um, weil er spürt, dass ihn die Leute anstarren, als würden sie etwas Verrücktes von ihm erwarten, und auf einmal überkommt ihn ein vertrautes Gefühl, wie er es früher mit seinen Bands auf der Bühne erlebt hat.
    Es ist, als würde er brennen, und er wirbelt zu Keith herum. »Ich hab dir gesagt, steck die verdammte Kamera weg«, faucht er und greift danach. Als letzten Film, den es je aufzeichnen wird, zeigt das Display die tiefen Falten auf der Handfläche eines Mannes, denn Pat stapft jetzt durch den Wohnbereich, vorbei an dem unheimlichen alten Produzenten, der rothaarigen Assistentin und dem Typen mit der Mähne. Er öffnet die Schiebetür, tritt auf die Veranda und schleudert die Kamera hinaus, so
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