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Achtung Kurven

Achtung Kurven

Titel: Achtung Kurven
Autoren: Horst Biernath
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Der Chef und Emil Rothe hatten zwischen dem Mercedes 220 und dem 1,7-Liter-Rekord gerade so viel Platz gelassen, daß es nur ein guter Fahrer wagen durfte, sich zwischen die beiden Wagen hineinzuklemmen. Herr Blum, der heute seine achtzehnte Fahrstunde absolviert hatte, wollte sich an der unangenehmen Parklücke vorbeidrücken, aber Heinz Herold, sein Fahrlehrer, trat energisch auf die zweite Bremse.
    »Na, was ist denn?« fragte er aufmunternd.
    »Muß das sein?« seufzte Herr Blum. Seine Hände klebten feucht am Steuerrad des VW.
    »Es muß sein!« antwortete Herold lakonisch. »Nur nicht zimperlich — bei den Steuerbescheiden sind Sie es ja auch nicht.«
    Herr Blum war Finanzbeamter. Vor vier Monaten hatte er im Lotto 7500 Mark gewonnen. Seit sechs Wochen stand ein gebrauchter VW unter einer Plastikhülle vor dem Haus, an dem die ganze Familie Blum in jeder freien Minute mit Schwämmchen und Läppchen herumfummelte. Die Frau und vor allem die Kinder konnten es kaum mehr erwarten, endlich im eigenen Wagen ins Grüne oder zum Baden zu fahren, und machten den Vater mit ihren ewigen Fragen, wann es denn endlich mit dem Führerschein klappen werde, ganz nervös.
    Herr Blum fuhr mit knappem Abstand neben den Mercedes, bremste und schlug im Stand das Steuerrad scharf rechts ein. Heinz Herold nickte ihm zu. Herr Blum stieß vorsichtig zurück, drehte das Steuerrad bis zum Anschlag nach links und sagte zögernd: »Theoretisch müßte ich jetzt die Lenkung total rechts einschlagen...«
    »Und weshalb tun Sie es nicht?«
    »Weil ich der Theorie nicht traue...«
    »Es bummst auch in der Praxis nicht!«
    »Ihr Wort in Gottes Ohr«, murmelte Herr Blum, ließ den Wagen rückwärts kriechen, bis er den sanften Anschlag des rechten Hinterrades am Bordstein spürte, schaltete den ersten Gang ein und fuhr einen knappen Meter vorwärts. Er hatte sich kunstgerecht in die enge Parklücke eingefädelt. Heinz Herold pfiff ein paar Takte der Bravour-Arie des Figaro aus Rossinis Barbier: bravo bravissimo bravo bravissimo — und öffnete die Tür.
    »Was gibt’s bei Ihnen heute zu Mittag?« fragte Herold mit einem Blick auf seine Uhr. Es war kurz vor eins.
    »Keine Ahnung, ich lasse mich von meiner Frau überraschen.«
    »Das muß schön sein...«
    »Nicht immer. Meine Frau ist eine von der ganz sparsamen Sorte. Gulasch gibt’s immer gleich dreimal hintereinander. Und jedesmal dünner.«
    Heinz Herold sperrte den Wagen ab und sah im Augenwinkel, daß die Chefin ihn vom Büro aus beobachtete.
    »Dann also — bis zum nächstenmal , Herr Blum.«
    »Auf Wiedersehen.«
    Was Herold befürchtete, trat ein. In dem Augenblick, in dem er Herrn Blum einen Gruß zuwinkte und sich davonmachen wollte, um zum Essen zu gehen, öffnete die Chefin das Fenster: »Hallo, Herold, kommen Sie doch noch für einen Moment ins Büro!«
    Was bildete sich dieses unverschämte Frauenzimmer eigentlich ein, ihn vor seinen Fahrschülern wie einen Laufburschen einfach Herold zu rufen! Seit Wochen hatte er Dutzende von Anläufen genommen, sich das zu verbitten, aber er war nie über den Anlauf hinausgekommen. Wenn er dann wütend das Büro betrat, saß sie auf der Schreibtischkante, ließ unter dem stramm über die runden Oberschenkel gespannten Rock ein Stück matt bestrumpftes Knie sehen und blies sich ein Aschenstäubchen ihrer Zigarette vom Pullover. Und diese blauen, giftgrünen, schwarzen oder cognacfarbenen Pullover hatten es in sich!
    »Machen Sie doch die Tür das nächstemal etwas weniger stürmisch zu, Herr Herold«, sagte sie und blies ihm aus runden Lippen einen blauen Rauchstrahl entgegen, »mir fällt jedesmal die Asche herunter, wenn Sie hereinkommen.« Und schon zupfte sie den hautengen Pulli, der heute feuerrot war, zwischen zwei Fingern weit nach vorn und ließ ihn zurückschnellen. »Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie heute abend den theoretischen Unterricht übernehmen müssen. Der Chef fährt zur Abschlußfeier nach Windsberg. Sie haben sich doch hoffentlich für den Abend nichts Besonderes vorgenommen?«
    Er schüttelte, innerlich noch immer kochend, den Kopf.
    »Soviel Temperament«, kicherte sie, »und immer noch einsam und verlassen — wie das Blümchen an der Felsenwand?«
    Er sah sie mit einem Blick an, als hätte er große Lust, ihr den ganzen Krempel vor die baumelnden Füße zu werfen.
    » Nanana !« sagte sie blinzelnd, »man wird sich doch wohl noch einen kleinen Scherz erlauben dürfen.« Und plötzlich umschwenkend und ganz Chefin:
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