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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen
Autoren: Jess Walter
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weit er kann – ein Ächzen dringt aus seinem Mund, als sie sich aus seiner Hand löst und sich überschlägt. Pat wartet, wartet, bis sie ein fernes Platschen unten im See hören. Zufrieden kehrt er zurück – »Du bist mein Held, Mann«, nuschelt der Junge mit den Haaren, als er vorbeikommt – und zuckt leicht mit den Achseln, um sich bei Keith zu entschuldigen. Dann macht er sich auf den Weg nach oben, um zu entdecken, dass sein ganzes bisheriges Leben eine süße Lüge gewesen ist.

21
    Schöne Ruinen
    Eigentlich sollte es nichts Offensichtlicheres, Greifbareres als den gegenwärtigen Augenblick geben.
    Und doch entzieht er sich uns vollkommen.
    Alle Traurigkeit des Lebens liegt in dieser Tatsache.
    Milan Kundera
    E s ist eine Liebesgeschichte«, erklärt Michael Deane.
    Aber was ist eigentlich keine Liebesgeschichte? Liebt der Detektiv nicht das Rätsel, die Jagd auf Verbrecher oder die neugierige Reporterin, die gerade gegen ihren Willen in einer leeren Lagerhalle am Hafen festgehalten wird? Sicher liebt der Serienmörder seine Opfer, und der Spion liebt seine Gerätschaften, sein Land oder die exotische Doppelagentin. Der Eisstraßenfernfahrer ist hin- und hergerissen zwischen seiner Liebe zum Eis und der zu seinem Lastwagen, die Chef köche stehen auf Jakobsmuscheln, die Leihhausbesitzer schwär men für ihren Schrott, genauso wie die verzweifelten Hausfrauen dafür leben, in vergoldeten Flurspiegeln einen Blick auf ihre Botoxstirn zu erhaschen, und der steroidsteife Prolo den Arsch der tätowierten kleinen Schlampe auf Hookbook schreddern will, und weil das die Realität ist, sind alle total verknallt in das Körpermikro am Steiß und den beiläufigen Vorschlag des Produzenten, nur noch eine Wackelpuddingaufnahme zu machen. Und der Roboter liebt seinen Herrn, der Alien liebt die Untertasse, Supermann liebt Lois, Lex und Lana, Luke liebt Leia (bis er entdeckt, dass sie seine Schwester ist), und der Exorzist liebt den Dämon, während er in inniger Umarmung mit ihm aus dem Fenster springt, so wie Leo Kate liebt und sie beide das sinkende Schiff, und der Hai, mein Gott, der Hai liebt sein Essen, ebenso wie der Mafioso – für den es nichts gibt außer Essen und Geld, Paulie und Omertà –, und der Cowboy liebt sein Pferd, liebt die Schöne im Korsett in der Pianobar und manchmal auch einen anderen Cowboy, so wie der Vampir Nacht und Hals liebt, und vom Zombie ganz zu schweigen: War jemals jemand liebeskranker als ein Zombie, diese blasse, dumpfe Metapher für die Liebe, die nur aus animalischer Gier und Getorkel besteht und deren Existenz nichts anderes ist als ein Sonett über die Sehnsucht nach dem fehlenden Gehirn? Auch das ist eine Liebesgeschichte.
    Und in dem Raum warten die holländischen Geldgeber mit den vierzig Millionen zum Verbraten darauf, dass Michael Deane ins Detail geht, doch er sitzt einfach da, und vor seinen Lippen erheben sich seine Zeigefinger wie ein Kirchturm. Eine Liebesgeschichte. Er wird sprechen, wenn er bereit dazu ist. Das ist schließlich der Raum. Er bedauert nur, dass er nicht seiner eigenen Beerdigung beiwohnen kann, denn diesen letzten Raum würde er mit einem Vertrag für einen Pilotfilm und eine Reality- TV -Show in der Hölle verlassen. Nach dem Pitch zu Donner! (den der Junge für dreißigtausend verkauft hat) kam Michael endlich aus dem Halsabschneider-Deal mit dem Studio heraus. Jetzt arbeitet er wieder auf eigene Rechnung – sechs noch ungeschriebene Sendungen sind schon in der Produktion –, kommt wunderbar klar im Leben nach den Studios, danke, und sackt mehr Kohle ein, als er es je für möglich gehalten hat. Inzwischen kommen die Geldtypen zu ihm. Er fühlt sich, als wäre er wieder dreißig. Also warten die holländischen Finanziers, bis schließlich die Zeigefinger von Michael Deanes übernatürlich glattem Mund sinken und er weiterspricht: »Das wird eine Reality-Show fürs Kabelfernsehen mit dem Titel Reiche Moms, arme Teens. Und wie gesagt, es ist vor allem eine Liebesgeschichte« –
    Sicher. Und in Genua wartet eine Prostituierte darauf, dass sich die Tür schließt, dann schnappt sie sich das Geld, das der Amerikaner auf das graue Laken gelegt hat – aus Angst, es könnte verschwinden. Mit angehaltenem Atem lauscht sie, wie sich seine Schritte im Gang entfernen. Sie lehnt sich an den schmiedeeisernen Bettrahmen und zählt es – fünfzigmal so viel, wie sie normalerweise für eine Nummer bekommt; sie kann ihr gottverdammtes Glück nicht fassen.
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