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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen
Autoren: Anja Abens
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ich mit Karl schaffen durfte, vermittelt mir das, und jetzt hoffe ich nur noch, dass auch unsere Kinder ihre Geborgenheit finden.
    Meike
    Herr Kuckensiel lässt mich nicht mehr früher gehen, wenn nichts zu tun ist. Ich muss dann einfach bis sechzehn, siebzehn Uhr meine Zeit absitzen. Das ist nervtötend, aber es ist eben so. Er meint, wenn ich hier richtig arbeiten würde, eine Ausbildung anfangen würde, dann müsste ich auch zu den festgelegten Arbeitszeiten anwesend sein. Einleuchtend, klar. Dennoch blöd. Herr Kuckensiel hat mir schon mehrmals gesagt, dass er mir den Ausbildungsplatz anbieten würde, ich könnte dann auch früher meinen Führerschein machen, schon mit siebzehn. Das wäre cool. Ich fahre unglaublich gern Auto. Und anfangs war der Gedanke daran sehr verlockend. Inzwischen arbeite ich gut fünf Monate bei Herrn Kuckensiel, und ich habe immer weniger Motivation, eine mögliche Ausbildung durchzuziehen. Letztens war ich mit meinem Vater in Wermelskirchen, wo die Berufsschule ist, die ich dann besuchen würde. Die Fahrt war lang und das Gebäude bedrückend. Es steht jetzt fest: Wenn ich noch einmal in so eine dumme Schule gehe, dann, um mein Abitur zu machen und anschließend zu studieren, nicht um eine Ausbildung hinter mich zu bringen, in der ich mich unterfordert und gelangweilt fühle. Ich muss das nur noch meinen Eltern erklären. Joker, mit dem ich häufig chatte, meint auch, dass ich meinen Eltern einfach sagen soll, was ich machen möchte und wo mein Problem mit der Ausbildung liegt. Er beharrt darauf, obwohl er den Grund für meine Bedenken nachvollziehen kann. Schließlich habe ich die Schule verlassen, um zu arbeiten. Und jetzt wieder zurück? Meine Eltern würden sich fragen, nach wie vielen Monaten ich wieder lieber arbeiten will. Joker versteht generell die meisten Dinge, die ich ihm erzähle. Und ich verstehe auch, was er so erzählt, zumindest glaube ich das. Das Gute dabei ist, dass wir beide weiter nichts von dem anderen wollen, als jemanden zu haben, in dem man sich irgendwie wiederfinden kann. Wir haben uns offen zu unserer Asexualität bekannt. Das ist echt super. Ich habe kein Interesse an Jungen oder Männern und auch nicht an Frauen. Die meisten Jugendlichen in meinem Alter empfinden das nicht so. Die Jungs wollen Mädchen, um zu wissen, wie Sex ist, oder um weiter welchen zu haben, wenn sie ihn bereits hatten. Und bei den Mädchen ist es das Gleiche. Das gehört wohl ins pubertäre Alter, dieses Bedürfnis, das lernt man ja so in der Schule. Aber ich habe das nicht. Und Joker hat das auch nicht, das macht uns ähnlicher. Wir denken, dass wir viel Gemeinsamkeiten haben, und trotzdem gibt es Einstellungen, in denen wir nicht übereinstimmen, das macht die Sache natürlich interessanter. Ich bin froh, mit Joker reden zu können und freue mich, dass er mir von sich und seinem Leben erzählt. Das Leben der meisten anderen Menschen interessiert mich reichlich wenig. Zugegebenermaßen fühlen wir uns beide recht elitär. Er will die Weltherrschaft, und ich will sie auch. Sein Wunsch nach der Macht ist aber politischer Natur, während ich einfach nur die Macht haben will, um alles nach meinen Wünschen zu gestalten, nach meinen spontanen Einfällen. Natürlich macht uns das neben Freunden auch zu Konkurrenten, und wir haben uns damit abgefunden, dass wir uns eines Tages gegenseitig eine Kugel durch den Kopf jagen werden. Ich sollte in diesem Zusammenhang meine Reaktionsfähigkeit verbessern, ich lass mir die Herrschaft über diesen dreckigen Planeten sicher nicht von so einem Politikerfritzen entreißen. Joker schmiedet auch schon Pläne. Wir dürfen also gespannt sein. Trotz dieser unterschwelligen Feindschaft führen wir den Kampf bis zu unserem Ziel gemeinsam. Wir sind zu zweit und die Menschheit ist allein, wir sind überlegen.
    Da sitzen wir nun, meine Eltern und ich. Am großen Wohnzimmertisch, und ich fühle mich nicht sehr gut. Ich habe Angst vor der Reaktion meiner Eltern, wenn ich ihnen meine Pläne mitteile. Natürlich würden sie begründet überrascht und wütend reagieren, aber trotzdem habe ich keine Lust darauf. Grauenhaft, aber ich muss da durch.
    »Lasst mich erst einmal reden, bevor ihr etwas dazu sagt, bitte, ich möchte erst mal zu Ende sprechen. Okay?« Ich muss mich versichern, dass sie mir nicht ins Wort fallen. Sie nicken beide.
    »Ich möchte die Ausbildung beim Bestatter nicht machen. Ich habe mich jetzt wirklich, wirklich, wirklich entschieden. Ich möchte
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