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Die Tiefen deines Herzens

Die Tiefen deines Herzens

Titel: Die Tiefen deines Herzens
Autoren: Antje Szillat
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W enn der Himmel einen Menschen liebt, dann lässt er ihm einen Freund begegnen.
(Aus China)
1
    Die Hecke war dicht und schien mir undurchdringlich. Ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um einen Blick auf Felix und die anderen Jungen, mit denen er im Garten Fußball spielte, erhaschen zu können.
    Gestern beim Abendbrot hatte ich mit angehört, wie sich meine Eltern über die neue Familie nebenan unterhielten. Felix’ Mama war einfach abgehauen, hatte meine Mutter erzählt, und hatte den armen Mann mit dem kleinen Jungen sitzen lassen.
    Ich verstand nicht so richtig, was sie damit meinte und warum sie sich so darüber aufregte. Und dass der arme Junge sich bestimmt die Augen nach seiner Mama ausheulte, das konnte ich auch nicht feststellen. Felix stürmte lachend durch den Garten, den Fußball immer fest im Visier.
    Wie gern hätte ich in diesem Moment mit ihm getauscht, denn ich steckte mitten in der schrecklichsten Geburtstagsfeier meines siebenjährigen Lebens fest. Meine Mutter hatte tatsächlich geglaubt, ich würde mich über eine Barbie-Party mit Jana, Ellen, Chiara und Emily freuen. Allesamt in Rosa, versteht sich. Ich wollte aber nicht mit Barbiepuppen spielen, und erst recht nicht in Rosa gehüllt. Ich hasste Barbie!
    Es war 2001, ein glühend heißer Samstagnachmittag im August, und ich wünschte mir nichts mehr, als mit Felix in dem Baumhaus zu hocken, das sein Vater, gleich nachdem sie nebenan eingezogen waren, in die gewaltige Eiche gezimmert hatte
    Es sollte jedoch noch fast zwei Wochen dauern, bis ich das erste Mal mit leicht zittrigen Knien die schmalen Holzstufen hinaufklettern durfte. Zwei Schokoriegel und eine Tüte Gummibärchen hatte mich das gekostet.
    Felix stopfte sich gerade den zweiten Riegel rein, als ich oben ankam und mich staunend neben ihn auf die Bank plumpsen ließ.
    »Cool, was?«, fragte er mich mampfend.
    Ich nickte schüchtern.
    »Mein Vater sagt, hier oben bin ich sicher.«
    »Wovor?«
    Ich rechnete damit, dass er nun von Löwen und Tigern oder möglicherweise von wieder zum Leben erwachten Dinosauriern erzählen würde.
    Doch Felix legte den Kopf ein wenig schief und erklärte: »Vor meinen Gefühlen. Immer, wenn es mir nicht so gut geht, klettere ich hier hoch. Es ist nämlich ein Zauberbaumhaus.«
    Ich begriff nicht, was er meinte, und ärgerte mich über meine Dummheit. Felix war nur ein Jahr älter als ich und redete von Dingen, die ich nicht verstand.
    »Meine Mutter hat immer gesagt, wenn ich die Kirschkerne mit runterschlucke, würde da drin bald ein gewaltiger Kirschbaum wachsen.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger gegen den Bauch und schaute mich fragend an. »Und? Siehst du einen Kirschbaum?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Die Erwachsenen sagen vieles, was nicht stimmt. Bei meiner Mutter war es der Kirschbaum.« Er blinzelte und fügte leise hinzu: »Und dass sie mich lieb hat.«
    Ich wollte etwas sagen. Aber ich wusste nicht, was. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihn trösten konnte und ob er das überhaupt wollte. Ich war ja nur ein siebenjähriges Mädchen, das Barbiepuppen hasste und unbedingt Felix zum Freund haben wollte. Und das nicht nur wegen seines Baumhauses.
    Felix schaute auf seine Füße und ich betrachtete ihn von der Seite. Wie gern hätte ich ihm gesagt, dass ich seine beste Freundin sein wollte, doch ich traute mich nicht. Und da, plötzlich, als hätte er meinen scheuen Blick erahnt, hob er den Kopf und sah mir direkt in die Augen. Mein erster Impuls war, schleunigst wegzugucken. Stattdessen lächelte ich und erschrak prompt über mich selbst.
    Ich hatte noch nie einen Jungen zum Freund gehabt. Ging das überhaupt? Würde das nicht gleichzeitig bedeuten, dass wir ein Liebespaar waren? Müssten wir uns dann vielleicht sogar küssen? Oh Mann, ich wollte keinen Jungen küssen. Auch nicht Felix.
    Hilfe suchend sah ich ihn an.
    Er grinste schief, und als ob er meine Gedanken erraten hätte, meinte er: »Mit Küssen habe ich es nicht so. Ich habe nämlich mal gehört, dass man dabei die Zunge des anderen runterschlucken muss.«
    »Bäh«, machte ich und schüttelte mich angewidert. »Das ist ja eklig. Ich werde niemals jemanden küssen. Im Leben nicht!«
    »Ich auch nicht«, sagte Felix noch breiter grinsend und hielt mir die Tüte mit den Gummibärchen hin.
    Ich zögerte. Schließlich waren die Gummibärchen mein Eintritt ins Baumhaus gewesen.
    »Nimm schon. Wir sind doch jetzt Freunde.«
    Mein Herz machte einen wilden Sprung.
    Aber Felix
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