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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen
Autoren: Anja Abens
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werden. Aber mit diesem Fall hatte Herr Kuckensiel nicht gerechnet; ein alter Mensch, der unter der Kategorie ›betreutes Wohnen‹ geführt war, in einem solchen Zustand. Dem Bestattungsunternehmer tat es leid, dass Meike damit so früh und ohne vorheriges Gespräch damit konfrontiert worden war. Meike war an diesem Abend auffällig blass nach Hause gekommen. Sie sagte aber, genau besehen gehöre es eben dazu, dass ein Verstorbener mal nicht mit gefalteten Händen und wie schlafend in seinem Bett liege, das müsse doch jedem klar sein. Ich staune, was Meike wegsteckt. Später kommt sie noch mal aus ihrem Zimmer.
    »Mit Miriam ist jetzt auch alles gut«, meint sie. »Seitdem sie diese Betreuerin aus dem Jugendamt hat, klappt alles viel besser. Sogar mit dem Vater kann sie wieder reden.«
    »Na, das ist ja toll!« Ich bin wirklich froh, dass diese Aktion ein gutes Ende genommen hat. Auch dank der Leute vom Jugendamt in Süddeutschland, die unglaublich schnell und konstruktiv gehandelt haben. Solche Institutionen stehen und fallen wirklich mit den Leuten, die dort arbeiten. Meike wünscht uns eine gute Nacht. In letzter Zeit wirkt sie nahezu ausgeglichen.
    Meike
    Die Trauerfeiern sind immer recht anstrengend. Ich scheue den Kontakt mit den Angehörigen der Verstorbenen, da ich nicht weiß, wie ich mich genau verhalten soll. Was soll man sagen?
    Abgesehen von dieser psychischen Anspannung und Anstrengung muss ich bei den Trauerfeiern meist stehen, eine halbe Stunde, manchmal auch länger. Es fällt mir schwer, so lange stillzustehen. Und besonders spannend sind diese Feierlichkeiten auch nicht. Das hat nichts damit zu tun, dass ich die Verstorbenen nicht kenne, ich fand auch die Trauerfeier für meinen Onkel nicht spannend, aber darin liegt auch nicht der Sinn einer Trauerfeier. Trotzdem. Ich langweile mich bei dem Gerede oft, ähnlich wie an Weihnachten in der Kirche. Und ich muss gucken, welche Beschäftigung ich meinem Hirn gebe. Es ist nicht so, dass ich die ganze Zeit stumme Hassattacken gegen Gott oder Christen abfeuere und mich damit beschäftigen könnte. Ich habe generell gar nichts gegen Gläubige oder gegen die Kirche, solange sie mich nicht nerven. Viele Leute denken, ich hätte etwas gegen Gott, nur weil ich schwarze Sachen trage. Ich habe mich tatsächlich eine Zeit mit Satan auseinandergesetzt, aber nicht mit dem Hörnermonster, sondern mit dem Teufel als ein Gegenbild zu dem von Christen oft dargestellten Gott, der einen einschränkt und einem Aufgaben gibt, der einen bestraft und beurteilt. Ich fand einen Satan interessant, der einen dazu anhält, sich selbst zu bestimmen, die Augen zu öffnen und zu sehen, wie die Welt ist, anstatt sich führen zu lassen, blind und mit der Hoffnung darauf, dass schon alles glattgeht, solange man nur ein bisschen betet. Ich habe nichts gegen Gott, ich glaube aber nicht, dass es ihn im Sinne eines Gottes, wie die Christen ihn darstellen, gibt. Ich will und kann generell erst mal an gar keinen Gott glauben. Dennoch finde ich oft schön zu sehen, wie sich in der Kirche eine Gemeinschaft zusammenfindet. Mich berühren manche religiösen Riten und Äußerungen, aber nur dann, wenn sie Fragen aufwerfen, die mit dem Weltlichen zu tun haben. Auf Trauerfeiern wird aber meist das Gleiche erzählt, nach Schema F. Selten schaffen es die Pfarrer, einem bei der Ansprache etwas mitzugeben, was doch vor allem für die Angehörigen wichtig wäre. Denen muss es doch hohl vorkommen, wenn über den Verstorbenen nur Allgemeinplätze verkündet werden. Ich hoffe dann, dass die Rede schnell zum Ende kommt. Herr Kuckensiel muss natürlich immer mit den Angehörigen sprechen, irgendwann müsste ich diese Aufgabe auch einmal übernehmen, wenn ich die Ausbildung anfange. Ich spüre, ich kann das nicht. Oft müssen zwar nur Formalitäten geklärt werden, aber trotzdem weiß ich nicht, wie ich trauernden Menschen begegnen soll. Ich würde lieber immer nur Tote von A nach B fahren, Särge ausschlagen, beim Standesamt Beurkundungen abholen, Kreuze bekleben oder die ganzen Formulare ordnen. Aber das habe ich nun alles schon gemacht.
    Jetzt ist es manchmal öde bei der Arbeit. Langweilig. Ich sitz dann herum, warte darauf, dass etwas passiert, jemand stirbt. Die ersten Male konnte ich in dieser Wartezeit immer irgendwas sortieren und ordnen. Ich habe Frau Müller und Herrn Kuckensiel gefragt und durfte Ordnung in Schränke und Regale bringen. Das macht Spaß. Ordner anlegen, Blätter einheften, Stifte
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