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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen
Autoren: Anja Abens
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jene, die dafür sorgen, dass sie bestehen bleiben. Er ist da, dieser unglaubliche Hass und diese brennende Wut. Sie beginnen sich aufzulehnen, versuchen, die Dinge zu ändern. Doch sie befinden sich in einem Zustand der Schwäche, der Zerbrechlichkeit. Sie wissen, dass etwas geändert werden MUSS , doch sie können nichts ausrichten. Manche kommen über diese Krise nicht hinweg, bleiben stecken, einige suchen ihre Ruhe im Tod. Die aber, die es schaffen, die diese Zeiten überstehen, machen es nicht besser. Ihre Vorwürfe sind wie weggeblasen. Sie gliedern sich ein in dieses unmenschliche System, als hätten sie niemals Leid erfahren. Sie kümmern sich nicht mehr um das, was war. Sie haben nun das erreicht, was sie wollten, haben ihr eigenes kleines Leben gerettet, das reicht ihnen. Dass andere dieses Schicksal ebenso ertragen müssen, wie sie es mussten, ist ihnen gleichgültig … letztendlich ist es nur eine Phase, die man nun einmal zu bewältigen hat; diejenigen aber, die daran zugrunde gehen, werden nicht beachtet oder gelten als besonders labil. Jene Menschen also (nicht ALLE ), die die schlechten Zeiten überwunden haben, scheren sich nicht um die ehemaligen Leidensgenossen. Sie spucken ihnen noch ins Gesicht … und verschwinden in der Masse, die sich so unmenschlich präsentiert …
    Anja
    Alles ist so geschehen, wie Frau Liefen es versprochen hat. Sie hat Miriam abgeholt. Sie hat mit den Eltern gesprochen. Für Miriam ist eine Familienhilfe geplant, die sie begleitet, die hilft, dass Miriam sich in ihrer Familie wieder wohlfühlt. Und bis diese Begleitung feststeht, ist Frau Liefen Miriams Ansprechpartnerin, an die sie sich jederzeit wenden kann. Ich bin so dankbar, dass mein Gefühl mich nicht getrogen hat. Frau Liefen ist genau so verlässlich, wie sie von Anfang an gewirkt hat. Meike ist sichtlich erleichtert nach Miriams Anruf. Sie hatte solche Angst davor, dass alles nur Gerede war.

10. KAPITEL
    Meike
    O Mann. Heute war es so gruselig! Gruselig! Meine Klamotten müssen erst mal ordentlich gewaschen werden. Mann, das war gar nicht schön. Christoph, der Sohn von Herrn Kuckensiel, und ich mussten einen Verstorbenen abholen. Der hatte aber schon zwei Wochen in seiner Wohnung gelegen und boah, das roch gar nicht gut, im Gegenteil, bestialisch gestunken hat es. Man sagt, dass dieser Leichengeruch unverkennbar ist. Und ja, ich glaube, das kann man so sagen, etwas Vergleichbares habe ich noch nicht gerochen. Der ältere Herr lag auf dem Fußboden seiner völlig unaufgeräumten Wohnung, und es sah nicht so aus, als wäre er allzu friedlich aus dem Leben gegangen. Besonders traurig fand ich, dass erst zwei Wochen nach seinem Tod jemand nachgeforscht hatte, was hier los war. Aber nicht, weil derjenige den Mann vermisst hatte, sondern weil der Todesgeruch in der Luft lag.
    Beim Anblick des Leichnams grauste mir für einen Moment, man konnte das Gesicht gar nicht mehr erkennen, an manchen Stellen war der Körper schwarz verfärbt und an anderen wirkte er aufgedunsen. Je länger ich den Toten betrachtete, fand ich es weniger schrecklich, aber ein trauriger Anblick blieb es. Wir haben von einem Polizisten, der auch vor Ort war, Schuhe zum Überziehen bekommen, damit wir in die Wohnung und zu dem Leichnam gehen konnten, der fast schon ein bisschen glitschig war. Das wusste ich bis dahin nicht, dass Leichen tatsächlich Feuchtigkeit absondern. Wir bekamen den toten Körper kaum zu packen. Ein paarmal entglitt er uns, bevor wir ihn auf die Trage gehoben hatten.
    Nachdem es endlich geschafft war und wir durch das Treppenhaus endlich das Auto erreicht hatten, mussten wir erst einmal tief durchatmen. Als wir die Leiche abgeliefert hatten, waren wir froh. Nur der Geruch im Auto wollte sich nicht verziehen und Christoph meinte, dass das wohl auch die nächsten zwei, drei Tage noch anhalten würde. Nichtsdestotrotz war ich zufrieden, als ich nach dem Arbeitstag nach Hause kam. Ich hatte etwas Außergewöhnliches erlebt, hatte eine völlig neue Situation gut gemeistert. Es war bereichernd, und jetzt weiß ich, wie es kommt, dass die ganzen Kriminalleute im TV immer sagen können, dass sie schon »ahnen, was los ist« – sie erkennen den Tod am Geruch.
    Anja
    Also, was Meike heute erlebt hat, fand ich bedenklich. Allerdings hat Herr Kuckensiel mich auch gleich angerufen und sich entschuldigt. Mit Unfallopfern und Leichen, die schon in Verwesung übergegangen waren, sollte Meike im Praktikum eigentlich nicht konfrontiert
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