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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen
Autoren: Anja Abens
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aussortieren und solch ein Kram. Aber da das Unternehmen nicht so riesig ist, hatte ich irgendwann alles in Ordnung gebracht, und seitdem langweilte ich mich immer häufiger. Eine Qual für mich. Ich half mir damit, Zeitschriften durchzuschauen, die Informationen für Bestatter und Trauernde enthielten, da gab es teils Interessantes zu erfahren. Zum Beispiel las ich in einem Artikel über eine neue Beerdigungsart, bei der man in einer Urne an den Wurzeln eines Baumes begraben wird. Friedwald nennt sich das, der Friedhof aus Bäumen. Die Vorstellung, an den Wurzeln eines Baumes begraben zu sein, gefällt mir. Ich studierte auch Ordner mit Bildern und Infos zu den verschiedenen Särgen, die es gibt, aber irgendwann gab es keine Ablenkung mehr, und die Langeweile blieb.
    Meikes Tagebuch
    Es ist nicht einfach wieder da. Ich suche es. Ich suche danach, wie ich früher war, ich suche dieses Gefühl von früher. Als würde ich es vermissen. Dieses Gefühl, in der Dunkelheit zu sitzen, seine Aggressionen zu haben und die Welt nicht an sich heranzulassen. Denn es gibt mir so viel mehr Sicherheit, als zu versuchen, auf meinen Beinen im Leben zu stehen. Vielleicht will ich zurück. Dahin, wo es dunkel ist und ich allein und sicher sein kann. Wo ich der einzige Mensch bin, dem ich irgendwas schuldig bin, nur mir Rechenschaft ablege und für mich bin.
    Anja
    Merkwürdig. Nachdem Meike bisher immer aufgekratzt von ihrer Arbeit erzählte, ist eine Sendepause eingetreten. Ich will nicht direkt das Schlimmste befürchten, aber irgendetwas stimmt nicht. Ich beruhige mich damit, dass schwierige emotionale Zeiten einen immer noch einmal einholen als schlechte Gefühle. Wellenweise, als erinnere sich das ganze System noch einmal. So war es bei mir auch. Aber mache ich nicht viel zu oft den Fehler, meine Mechanismen auch bei anderen anzunehmen? Wenn ich Meike direkt frage, betont sie, dass alles in Ordnung sei, was mich gerade misstrauisch macht. Ich möchte es so gern glauben. Denn zurzeit steht die Sorge um Karls Eltern im Vordergrund. Sein Vater war schon länger krank, aber meine Schwiegermutter und meine Schwägerin, die mit ihrem Lebensgefährten gleich in der Nachbarschaft wohnt, haben alles gut hinbekommen. Jetzt aber ist meine Schwiegermutter schwer erkrankt, und das System gerät außer Kontrolle. Beide Eltern hilfsbedürftig, wie soll das gehen? Wir fahren nun öfter hinunter an den Niederrhein, Karl noch häufiger als ich. Er berät sich mit seinen beiden Geschwistern, der ältere Bruder lebt noch weiter entfernt von den Eltern als wir.
    Den Familienthemen widme ich mich nur halbherzig, mir platzt auch so beinahe der Kopf. Im Mai sind meine Abschlussprüfungen, meine Klasse steht ebenfalls kurz vor ihrem Abschluss, der Dokumentarfilmer, Herr Maurer, verlangt die unmöglichsten Sachen. Hätte ich mich doch niemals darauf eingelassen! Immer wenn sein Kamerateam gerade da ist, können wir keinen normalen Unterricht machen. Außerdem merke ich, dass er gar keine vorbildliche Hauptschulklasse zeigen möchte. Er will Sensationen, aufgewühlte Emotionen. Verständlich vom Filmerstandpunkt aus, aber völlig gegen die Absichtserklärungen, die er zu Beginn der Dreharbeiten von sich gegeben hatte. Er wollte das Image der Hauptschule berichtigen. Das wäre mit meiner Klasse gut gegangen. Es ist eine wirklich nette Klasse. Abgesehen von den beiden Neulingen, die die Klassengemeinschaft aus den Fugen bringen wollen, aber die sind in Wirklichkeit gar nicht solche Störenfriede. Das bekämen wir schon hin, wenn nicht ein ambitionierter Filmer immer Öl aufs Feuer gießen würde. Die beiden merken, dass es Herrn Maurer gefällt, wenn sie auf den Putz hauen, und ich muss alles wieder ins Lot bringen.
    Wenn jetzt auch noch Meike wieder anfängt, sich in ihr altes Leben zurückzuschweigen, wenn sich ihr Selbsthass wieder regt und das Essen und das Ritzen wieder von neuem beginnen, dann weiß ich nicht, was ich noch machen soll. Ich habe meine Reserven längst aufgebraucht.
    Meike
    Ich kann die Ausbildung zum Bestatter machen, wenn ich möchte, hat Herr Kuckensiel mir gestern gesagt. Aber ich bin mir unsicher. Es ist zu wenig Anspruch da. Außerdem müsste ich wieder in die Schule, drei Jahre Berufsschule. Und da steht kaufmännisches Rechnen sicher ganz oben auf dem Stundenplan. Das passt mir gar nicht. Aber noch weniger passt mir, dass ich den Beruf nicht mehr so erfüllend finde, wie ich anfangs annahm. Es war alles interessant und
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