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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen
Autoren: Anja Abens
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Deshalb bin ich froh, dass unsere Ratten da sind. Vor allem Pollyanna, meine Ratte. Wenn ich in mein Zimmer komme, klettert sie sofort am Käfiggitter hoch, schaut mich mit ihren Knopfaugen an und blinzelt mit dem rechten Auge. Total süß. Es kommt mir immer vor, als blinzle sie mir tatsächlich zu, als stimme sie mir in all meinen Gedanken zu. Sie gibt mir recht.
    Ich hole Polly aus dem Käfig und setz sie mir auf die Schulter. Polly schnuppert mir dann jedes Mal am Ohr, und dabei kitzeln mich ihre Schnurbarthaare, das ist ein angenehmes Gefühl. Als würde sie mir etwas zuflüstern. Wenn sie hin und her läuft und über mein Dekolleté von einer Schulter zur anderen klettert, hinterlässt sie ganz feine Kratzspuren, sonderlich angenehm ist das nicht, aber es sieht schön aus. Ihre Spuren auf meiner Haut zu haben, finde ich cool, die verblassen nur viel zu schnell.
    Anja
    Merkwürdig. Es ist so ruhig in der Wohnung, seit Marvin ausgezogen ist, nur ich vibriere. Eine große Familie, das war immer mein Traum gewesen. Menschen, die einander vertrauen und sich wohlfühlen im gemeinsamen Raum. Aber ganz schön steinig und mit Ecken, Spitzen und Kanten gespickt ist dieser Weg. Es ist so schwierig zu erkennen, was andere wirklich wollen. Dabei habe ich es immer besser als meine Mutter machen wollen. Sie war berufstätig und ich fühlte mich oft einsam. Deshalb habe ich die Aufgaben für mein Studium, das ich neben Haushalt und Kindern absolvierte, am Abend erledigt, wenn die Kinder im Bett waren. Ich wollte für sie da sein.
    Karl hat mich dabei unterstützt, er fand es richtig, dass ich neben Mutter- und Hausfrausein noch etwas für mich tue, aus meinen verschiedenen Talenten etwas mache. Merkwürdigerweise erlebe ich diese Großzügigkeit bis heute oft als Anforderung, noch mehr zu tun, und finde doch eigentlich, ich tue genug. Hin und wieder gehen mir deshalb die Nerven durch. Wenn die Kinder das mitbekommen, meinen sie, ich sei unglücklich. Das finde ich schlimm, ich kann ihnen nicht klarmachen, dass ich nicht unglücklich bin, denn alles, was ich tue, ist mir wichtig; es ist das, was ich will, aber manchmal ist es etwas viel. Vier Kinder und Studium, das war nicht einfach zu schultern, vor allem in Prüfungsphasen. Außerdem ist mir auch mein Schreiben wichtig. Ich schreibe seit ich dreizehn bin. Meine erste Geschichte war eine Abenteuergeschichte für meinen jüngeren Bruder. Er war begeistert, dass er und seine Freunde darin vorkamen.
    Durch meine Scheidung und die zweiten Ehen meiner Eltern gibt es vier Eltern- und Stiefelternpaare; und meine Großmutter, die mir sehr viel bedeutet, lebt auch noch. Deshalb geht mir hin und wieder die Puste aus. Manchmal komme ich mir vor wie eine Reisende in Sachen Familienangelegenheiten. Aber was ist eine Beziehung ohne persönliche Begegnung?
    Ob ich Marvin bald einmal wieder begegne? Warum konnten Karl und ich ihn nicht als ausgeglichenen jungen Menschen ins Leben entlassen, wie wir es uns einmal vorgestellt hatten? Marvin hat mir deutlich gezeigt, dass auch ich meine Grenzen habe. Eine wichtige Erfahrung, auf die ich vielleicht besser verzichtet hätte. Aber alle Kinder entwachsen einem, und man muss sie gehen lassen. Auch im Verhältnis zu Jonas herrscht zurzeit eine Fremdheit. Er hat sich sehr der Familie seiner Freundin angeschlossen. Da ich aber sehe, dass ihm das gut bekommt, denke ich, es muss richtig sein, auch wenn ich meine, dass wir uns zu selten sehen und unsere Gespräche merkwürdig steif verlaufen. Anna lebt mit Andreas zusammen, den sie als ihre große Liebe bezeichnet. Das mag sein, aber ich finde ihn unselbstständig und unzuverlässig. Anna macht alles, Ausbildung und Haushalt, und er kommt gar nicht in die Gänge. Anna sitzt heute häufiger mit mir bei einem Kaffee zusammen als früher. Sie erscheint mir überfordert zu sein, aber immer bekräftigt sie, dass alles gut sei. Und ich denke, Jonas, Anna und Meike waren so liebe Kinder, dass ich mich mit ihnen wie in Ferien und untätig gefühlt habe, trotz des Studiums. Weil ich mich seit meiner Jugend immer gern mit Kindern beschäftigt habe, nahmen wir dreimal die Woche ein Tageskind in Meikes Alter zu uns. Meike hatte noch keinen Kindergartenplatz, und die kleine Lara und sie verstanden sich auf Anhieb. In meiner Erinnerung gehört das Jahr mit den beiden Mädchen zu den schönsten Zeiten …
    Seit dem Abschied von Marvin komme ich manchmal aus dem Nachdenken nicht heraus, darum bin ich froh, als mich
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