Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen
Autoren: Anja Abens
Vom Netzwerk:
bin, »wir spielen du bist ich und ich bin du.«
    »Wie soll das denn gehen?«
    »Na, du ziehst einfach ein paar Klamotten von mir an und bindest ein Handtuch um den Kopf. Lena weiß doch, dass ich das nach dem Haarewaschen immer mache.«
    Marvin findet Gefallen an der Vorstellung: »Au ja, und weil ich mit dem Rücken zur Tür am Schreibtisch sitze, merkt sie erst mal nix.«
    »Und ich ziehe etwas von dir an und setze vor allem eine Baseballkappe auf. Gut, dass die Schreibtische zum Fenster stehen …«
    Ich muss richtig lachen bei der Vorstellung, was Lena wohl macht, wenn Marvin sich dann umdreht. Marvin springt auf und wir wühlen im Schrank nach den passenden Sachen. Er bekommt eine schicke Schlaghose mit Stickerei am Hosenbein und ein langärmliges graulila Hemd.
    »Ah, wunderschön. Steht mir das nicht toll?«, fragt er mit hoher Stimme. Ich muss schon wieder lachen und ziehe einfach die Klamotten an, die er gerade auf den Boden geworfen hat, dazu schnapp ich mir ein Käppi von der Garderobe und verstecke meine Haare darunter. Marvin holt sich ein Handtuch und versucht es kunstvoll um seinen Kopf zu schlingen, es gelingt aber nicht ganz, beim ersten Versuch rutscht es von seinem Kopf und beim zweiten sieht er nichts mehr; wir lachen beide.
    »Warte mal, also … Kopf runter … so …«
    »Wunderbar!«, ruft er aus wie Cruella De Vil aus 101 Dalmatiner , als er sich im Spiegel bewundert. Da klingelt es.
    »Schnell, setz dich hin, ich mach die Tür auf.« Ich flitze zur Korridortür und drücke auf, dann sprinte ich zurück in Marvins Zimmer und lasse mich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Es kann ganz schön spannend sein, darauf zu warten, dass jemand die Treppen bis zu uns in der 3. Etage hinaufkommt. Ich muss so aufpassen, dass ich nicht jetzt schon lache. Ob Lena den Schwindel wohl gleich bemerkt?
    »Hallo!«, höre ich Lena rufen, als sie in der Korridortür steht. Ich tue so, als schreibe ich gerade etwas.
    »Ich bin in meinem Zimmer«, höre ich Marvin mit verstellter Stimme sagen.
    Lena geht durch den Flur in mein Zimmer.
    »Hey, Meike, alles klar?«, fragt sie Marvin.
    »Ja, klar, alles super und bei dir?«
    »O mein Gott!«, höre ich als Nächstes und muss sofort anfangen zu lachen. Auch Marvin höre ich losprusten. Kurz drauf, als ich zur Tür meines Zimmers gehe, stimmt auch Lena mit ein. »O mein Gott!«, wiederholt sie nur und lacht. »Oje, o Mann, ich hab mich total erschrocken!«
    Marvin und ich gucken uns mit breitem Grinsen an, wir hätten beide nicht gedacht, dass der Plan so gut funktioniert. »Ich dachte wirklich, du würdest dort sitzen, Meike«, sagt Lena kopfschüttelnd. »Marvin, ich meine du, er saß ja auch in seinem Zimmer am Schreibtisch, ich dachte echt, dass du er …« Sie zeigt abwechselnd auf mich und auf Marvin, der sie immer noch breit angrinst.
    »Du hast total entsetzt ausgesehen«, sagt er.
    »Ja, das war ich auch! Ich hab den Schock meines Lebens bekommen. Wie in einem Horrorfilm. Wenn jemand einer bekannten Person von hinten die Hand auf die Schulter legt, und dann dreht die sich plötzlich um und man schaut in ein ganz anderes Gesicht. Total gruselig, ihr Doofen, ihr!«
    Marvin ist mein Bruder. Er gehört zu mir. Er gehört zu mir, wie Jonas zu Anna und Mama zu Papa gehört. Er ist zwei Jahre älter als ich, er ist MEIN großer Bruder, nicht Jonas’, nicht Annas und schon gar nicht Mamas oder Papas. Ich liebe meinen Bruder, wir spielen miteinander und wir streiten miteinander. Meistens spielen wir, und dabei entsteht der Zank, aber das macht nichts, das gehört dazu. Ich bin dreizehn und gehe aufs Gymnasium, mein Bruder besucht die Realschule. Er hat andere Freunde als ich und manche seiner Freunde finde ich doof. Ich habe viele Freundinnen und wir machen Mädchensachen, und mein Bruder macht mit seinen Freunden Jungensachen, da gibt es nun einmal nicht viele Gemeinsamkeiten. Ich finde das nicht schlimm. Nur weil er andere Freunde hat und mit denen mehr macht als mit mir, bleibt er ja immer noch mein Bruder – und das ist die Hauptsache.
    Mama und Papa haben in letzter Zeit vermehrt Streit mit Marvin. Ich halte mich meist raus, bin sowieso lieber für mich, außer wenn ich mich vorher mit Marvin gestritten habe, dann versuche ich, ihm noch eins reinzuwürgen, oder wenn es vorher Zoff mit meinen Eltern gab, dann verteidige ich meinen Bruder.
    Anja
    Dieses erste Hilfeplangespräch mit Frau Bast steckt mir jetzt noch in den Knochen. Alles hatte ich ihr vorher am
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher