Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen
Autoren: Anja Abens
Vom Netzwerk:
doch immer so gern zum Training gegangen und hast dich auf die Turniere gefreut. Warum ist denn plötzlich alles anders?«
    Ich zucke mit den Schultern. Insgeheim bin ich dankbar, dass mein Vater da ist und nicht meine Mutter, denn sonst säße ich nächstes Jahr noch in der ungemütlichen Toilettenkabine der Sporthalle und würde mir anhören müssen, aus welchen Gründen ich gern weiter Rad fahren würde.
    Ich höre also mit dem Kunstradfahren auf, und das ist einfach nur gut.
    Anja
    Warum meint Meike immer, dass sie perfekt sein muss? Allein, dass sie Kunstrad fahren kann, ist doch bemerkenswert. Aber nein, der Misserfolg vom letzten Sonntag hat ihr jede Motivation genommen. Ist ja wunderbar gelaufen das Gespräch zwischen Karl und Meike. Nach dem Turnier eröffnet Karl mir, Meike wolle den Sport aufgeben. Genauso, wie sie das Geigespielen aufgegeben hat. Ich verstehe es nicht. Wieso hat sie keinen Spaß mehr an den Dingen, die sie mit so viel Freude begonnen hat und für die sie nach Aussage von Trainer und Musiklehrerin eindeutig Talent mitbringt?
    Ich bin ratlos. Ich selbst habe als Jugendliche den Sport auch geschmissen, aber mit sechzehn. Meike ist gerade mal dreizehn. Wie soll das denn weitergehen? In die Schule geht sie auch nicht gern … Aber Meike wird schon nicht so dumm sein wie ich und sich durch Schwänzen das Abi vermasseln. Damals, das waren auch ganz andere Umstände. Ich hatte immer das Gefühl, mein Vater liebt mich nur, wenn er stolz auf mich sein kann. Seine Erwartungen haben mir die Luft zum Atmen genommen. Meinen Bruder, der an den Rollstuhl gebunden war und eine Hauptschule besuchte, hat er ignoriert. Und so habe ich meine bewundernswerten Aktionen irgendwann abgebrochen und die Aufmerksamkeit meines Vaters von mir genommen.
    Aber bei Meike ist doch alles anders. Ihr Vater liebt sie ohne Einschränkung. Familie und Freundeskreis meinen einhellig, er verwöhne unsere Jüngste, wenn es auch nicht immer lobend gemeint ist. Außer den Großeltern und unseren besten Freunden halten die meisten Verwandten und Bekannten Meike für ein verzogenes Mädchen. Sie kann aber auch bockig sein …
    Ach, was mache ich mir so viele Sorgen um Meike, unser Problemkind zurzeit ist eindeutig Marvin. Seit nicht mehr Frau Lange, sondern Frau Bast unsere Betreuerin im Jugendamt ist und bei Marvin die Pubertät offenbar voll durchschlägt, steckt Karls und meine Beziehung zu ihm eindeutig in der Krise. Meike hält nach wie vor in schwesterlicher Solidarität zu ihm. Dabei hat sie oftmals zurückstecken müssen, seit er bei uns ist. Die meisten kennen Marvin nur als stillen und hilfsbedürftigen Jungen, sodass man eher ihm als Meike die Stange hielt, wenn es zum Streit kam. Meist hatte bei Familienfeiern Meike den Schwarzen Peter. »Nun lass doch den Marvin in Ruhe Klavier spielen!«, fuhr die wohlmeinende Tante Marianne Meike an, als diese ebenfalls auf dem Klavier in einer Gaststätte klimpern wollte.
    Marvin muss auch tatsächlich viel durchgemacht haben, bevor er im Alter von sechs Jahren zu uns kam. Er wollte jedoch nie darüber sprechen und wir wissen nicht viel über seine ersten Lebensjahre. Ich hatte gehofft, dass ihm unser Zusammenleben Halt gibt und er sich irgendwann öffnet. Stattdessen macht er seit einiger Zeit in der Schule und zu Hause nur noch, was er will, genau genommen seit dem ersten Hilfeplangespräch mit Frau Bast vom Jugendamt. Seitdem ist er verändert.
    Meike
    »Gewonnen!« Ich setze mein Figürchen auf den Zielpunkt und grinse Marvin an. Der sitzt wie meist im Schneidersitz und räumt gleichmütig das Verrückte Labyrinth zusammen. Das finde ich gut an meinem Bruder, Verlieren macht ihm nichts aus, obwohl er sich natürlich mehr freut, wenn er gewinnt, genau wie ich. Ich ziehe mir das Handtuch vom Kopf, das ich immer als Turban aufsetze, wenn ich mir die Haare gewaschen habe.
    »Was machen wir denn noch, bis Lena kommt?«
    Marvin zuckt die Achseln. »Ist doch nicht mehr viel Zeit.«
    »Also, ich föhn mir die Haare und dann … dann spielen wir Lena einen Streich.«
    »Deiner Freundin?«
    »Na, nichts Schlimmes, irgendwas Lustiges.«
    Während ich mir die Haare föhne, habe ich eine Idee.
    »Weißt du was«, rufe ich aus dem Badezimmer, »wir verkleiden uns!«
    »Okay!«, ruft Marvin. Ich wusste, dass er dazu Lust hat. Verkleiden war eins unserer Lieblingsspiele, als wir kleiner waren. Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht.
    »Also«, erkläre ich, als ich zurück in Marvins Zimmer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher