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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen
Autoren: Anja Abens
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Conny, die Mutter von Meikes Klassenkameradin Lena und selbst Lehrerin, darauf aufmerksam macht, dass Quereinsteiger in Schulen gute Chancen haben. Englischlehrer etwa werden händeringend gesucht. Und durch mein Magisterstudium in den Fächern Englisch und Deutsch erfülle ich die Voraussetzung, um an Haupt- und Realschulen unterrichten zu dürfen. Eine pädagogische Ausbildung kann ich nebenbei in einem Zusatzseminar nachholen. Als ich nach dem Abendgymnasium mit meinem Studium anfing, hatte ich mir eingebildet, für das Lehramt schon viel zu alt zu sein, und deshalb auf Magister studiert. Sollte ich doch noch das Glück haben, als Lehrerin arbeiten zu können? Damit hätte ich nie gerechnet. Da ich als Achtzehnjährige nur Fachabitur hatte, war ich damals als Auszubildende im kaufmännischen Bereich gelandet, zur Zufriedenheit meiner Eltern. Erst später stellte sich heraus, dass ich mit meinem Schulabschluss an einer Fachhochschule hätte studieren können … Ach, all das ist Schnee von gestern. Jetzt bin ich aufgeregt, denn man hat mich an einer der Schulen, bei denen ich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen war, angenommen.
    Meike
    Meine Mutter will Lehrerin werden. Das ist wunderbar, sie soll machen, was ihr guttut. Sie macht das viel zu selten. Und ab und zu, wenn sie sagt, sie mache alles nur noch so, wie es ihr passe und kümmere sich nicht mehr darum, was die anderen für Probleme haben, denke ich mir, ja, mach endlich was du willst. Aber sie kann nicht aus ihrer Haut. Sie erzählt von ihren Plänen, schwingt große Reden zur Selbstverwirklichung und verfällt dann doch wieder in den alten Trott und nimmt sich selbst zurück. Die Schuld dafür gibt sie uns, sie meint, dass wir das fordern würden, wir wollten, dass sie sich für uns aufopfert, aber in Wirklichkeit wollen wir alle, dass sie ihr Ding macht, sie soll zufrieden sein mit dem, was sie tut, auch wenn wir dann hintenanstehen und sicherlich mal meckern, weil man eben nicht gern entwöhnt wird. Aber wir würden darüber hinwegkommen. Nur sie nicht. Sie würde nicht darüber hinwegkommen, losgelassen zu haben, sie sperrt sich selbst in ein Gefängnis und behauptet dann, wir hätten sie dort hineingezwungen. Wenn sie nicht loslassen kann, wenn sie Angst davor hat, dass sie uns vernachlässigen oder verlieren könnte, nur weil sie einmal etwas für sich tut, dann kann ihr niemand helfen.
    Ich bin froh, dass meine Mutter sich endlich traut, einen Schritt allein zu gehen, ohne vier Kinder und einen Mann bei der Hand mitzuführen. Natürlich ist meine Freude nicht ganz unegoistisch. Ich freue mich auf meine Ruhe, ich bin gern allein. Wenn meine Mutter als Lehrerin arbeiten geht, werde ich sicherlich mehr von dieser wunderbaren Stille haben, die mich mit mir allein lässt. Ich werde mehr von dieser Stille haben, von dieser Stille, die nicht fordert, die keine Erwartungen hat und mich nicht bewertet.
    Anja
    Marvin ist nicht mehr bei uns, aber die Sorgen um ihn sind geblieben. Immer mal wieder erreicht uns irrtümlich Post, die eigentlich an seinen Vormund, die Stadt Köln, hätte gehen müssen. Diesmal die Benachrichtigungen der Staatsanwaltschaft, weil Marvin in einem Laden CDs gestohlen haben soll. Was macht er nur? Dreht er jetzt völlig durch? Hätte er unter unserer Obhut Ähnliches angestellt? Ladendiebstahl ist ja kein seltenes Jugenddelikt. Wir können nichts tun, außer die Post weiterzuleiten.
    Das Einarbeiten in den Schuldienst lenkt mich zum Glück ab: Neben meinen Fächern Deutsch und Englisch unterrichte ich Geschichte, Erdkunde, Schwimmen, Sport und Physik. Es ist an der Hauptschule nicht ungewöhnlich, dass man eingesetzt wird, wo Mangel herrscht. Aber die Vorbereitung, vor allem in den Fächern, die ich fachfremd gebe, ist sehr anstrengend.
    Mit den Schülern komme ich klar, auch wenn einige Härtefälle dabei sind. Kinder, die ständig aufspringen und herumlaufen im Unterricht. Kinder, die nicht einmal die Ahnung von Ordnung haben. Kinder, die sich gegenseitig mit Worten verletzen und prügeln. Die Erfahrungen mit Marvin haben mich vorbereitet. Oder ist es nur der gefühlsmäßige Abstand, der mir den Umgang mit den Jugendlichen in der Schule erleichtert? Ja, ich glaube, das Berufsleben gibt Abstand zu häuslichen Problemen. Für eine Weile ist man in einer anderen Welt. Und so anstrengend es ist, es zehrt nicht so an der inneren Substanz wie die Auseinandersetzungen mit denen, die man liebt. Wenn ein Schüler lügt, gehe ich sachlich
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