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Schneller als der Tod

Schneller als der Tod

Titel: Schneller als der Tod
Autoren: Josh Bazell
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heiß wären. Sie waren in den sechziger Jahren heiß, als sie im Manhattan Catholic anfingen. Jetzt sind sie überwiegend verbittert und senil.
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    Eine von ihnen schreit mich an, wo ich hinwill, als ich an der Anmeldung vorbeigehe, aber ich ignoriere sie auf dem Weg zu LoBruttos »Suite«.
    Als ich die Tür öffne, muss ich zugeben, dass die Suite für ein Krankenhauszimmer ziemlich hübsch ist. Sie hat eine -jetzt weitgehend zurückgezogene - Ziehharmonikawand, die sie in »Wohnzimmer« und »Schlafzimmer« unterteilt. Im ersten können die Angehörigen sich aufhalten und mit dem Patienten an einem achteckigen Tisch essen, dessen Vinylplatte aussieht, als wäre Erbrochenes leicht davon abzuwischen. Im zweiten steht das Krankenbett. Überall sind Fenstertüren, durch die man gerade den Hudson im ersten von Osten kommenden Licht sieht.
    Es blendet. Es sind die ersten Fenster, durch die ich schaue, seit ich auf der Arbeit bin. Und da sie LoBrutto in seinem Bett von hinten Licht geben, erkennt er mich, bevor ich ihn erkenne.
    »Heiliger Strohsack!«, sagt er und will sich aus dem Bett verkrümeln, wird aber von all den Schläuchen und Monitorkabeln, an denen er hängt, zurückgehalten. »Die Bärentatze! Sie wollen, dass du mich umbringst!«
     
     

Kapitel 2
    Während der Collegezeit fuhr ich einmal in den Sommerferien nach El Salvador, um bei der Erfassung der wahlberechtigten Ureinwohner behilflich zu sein. In einem der Dörfer, in die ich kam, wurde einem Jungen beim Angeln der Arm von einem Alligator abgerissen, und er wäre vor meinen Augen verblutet, wenn ihm ein anderer amerikanischer Freiwilliger, der Arzt war, nicht geholfen hätte. Da beschloss ich, Medizin zu studieren.
    Gott sei Dank ist das so nie passiert, und ich habe überhaupt kaum was vom College gesehen, aber Geschichten dieser Art soll man erzählen, wenn man sich fürs Medizinstudium bewirbt. Oder man berichtet von einer schweren Krankheit, die man in sich trug und die so wunderbar geheilt wurde, dass man dafür jetzt gern bereit ist, hundertzwanzig Stunden die Woche zu arbeiten.
    Nicht sagen soll man, dass man Arzt werden möchte, weil der Großvater Arzt war und man immer zu ihm aufgeschaut hat. Ich weiß nicht genau, was dagegen spricht. Es gibt wahrlich schlechtere Gründe. Außerdem war mein Großvater tatsächlich Arzt, und ich habe zu ihm aufgeschaut. Für meine Begriffe erlebte er mit meiner Großmutter eine der herausragenden Liebesgeschichten des zwanzigsten Jahrhunderts, und für mich waren sie die letzten wirklich anständigen Menschen auf der Welt.
    Sie hatten eine humorlose Würde, an die ich nie herangekommen bin, und haben sich so unermüdlich für die Unterdrückten eingesetzt, dass ich gar nicht daran denken darf. Außerdem hatten sie eine gute Haltung und konnten sich ehrlich für Scrabble, das öffentliche Fernsehen und dicke, erbauliche Bücher begeistern. Sie kleideten sich sogar konservativ. Und obwohl sie Staatsbürger eines Schlags waren, den es kaum noch gibt, zeigten sie Verständnis für Andersdenkende. Als zum Beispiel meine zugedröhnte Mutter mich 1977 in einem indischen Ashram zur Welt brachte und dann mit ihrem Freund (meinem Vater) nach Rom ziehen wollte, setzten sich meine Großeltern ins Flugzeug und holten mich heim nach New Jersey, wo ich aufgewachsen bin.
    Dennoch wäre es unehrlich, wenn ich den Wunsch, Arzt zu werden, auf die für meine Großeltern empfundene Liebe und Achtung zurückführen wollte, denn auf die Idee, Medizin zu studieren, bin ich überhaupt erst acht Jahre nach ihrer Ermordung gekommen.

    Sie wurden am 10. Oktober 1991 ermordet. Ich war vierzehn, vier Monate von meinem fünfzehnten Geburtstag entfernt. Ich kam abends um halb sieben vom Besuch bei einem Freund nach Hause, und in West Orange muss man im Oktober um die Zeit schon Licht anhaben. Es brannte kein Licht.
    Mein Großvater war damals vorwiegend ehrenamtlich als nicht operierender Arzt tätig, und meine Großmutter arbeitete ehrenamtlich in der Stadtbücherei von West Orange, daher hätten sie beide zu Hause sein müssen. Außerdem war die Fensterscheibe neben der Haustür - sogenanntes Kathedralglas - zerbrochen, als hätte sie jemand eingeschlagen, um an das Türschloss heranzukommen.
    Wenn Ihnen das je passiert, gehen Sie weg und wählen Sie den Notruf. Es könnte noch jemand im Haus sein. Ich bin rein, weil ich Angst hatte, sonst würde jemand meinen Großeltern was antun. Wahrscheinlich würden Sie auch reingehen.
    Sie lagen
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