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Schneller als der Tod

Schneller als der Tod

Titel: Schneller als der Tod
Autoren: Josh Bazell
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nebenan.
    Ich ziehe den Vorhang zur Seite, damit Mosby mich sehen kann. »Nur ich, Sir.«
    »Sparen Sie sich den Sir -«, sagt er. Ich lasse den Vorhang wieder fallen.
    Ein Blick auf Arschmanns Vitalwerte: Temperatur 37,0, Blutdruck 120/80, Atemfrequenz 18, Puls 60. Alles völlig normal. Und alles genauso wie auf Mosbys Krankenblatt und auf den Blättern jedes anderen Patienten, den ich heute Morgen auf der Station gesehen habe. Ich befühle Arschmanns Stirn, als ob ich seine Mutter bin. Sie glüht.
    Scheiße.
    »Ich melde Sie für die Computertomographie an«, sage ich ihm. »Haben Sie in letzter Zeit hier eine Pflegekraft zu sehen bekommen?«
    »Seit gestern Abend nicht«, sagt er.
    »Scheiße«, sage ich laut.
    Fünf Türen weiter ist dann eine Frau mausetot, mit einem Ausdruck namenlosen Grauens auf dem Gesicht, und auf ihrem Krankenblatt steht »Temperatur 37,0, Blutdruck 120/80, Atemfrequenz 18, Puls 60.« Obwohl sich das Blut derart auf der Unterseite ihres Körpers gesetzt hat, dass sie aussieht, als hätte sie fünf Zentimeter tief in blauer Tinte gelegen.
    Um mich zu beruhigen, fange ich mit den beiden diensthabenden Schwestern Streit an. Die eine, eine fettleibige Jamaikanerin, schreibt gerade irgendwelche Schecks. Die andere, eine alte Irin, surft im Internet. Ich kann sie beide gut leiden - die Jamaikanerin, weil sie manchmal was zu essen mitbringt, und die Irin, weil sie sich den ausgewachsenen Bart, den sie hat, immer zum Ziegenbärtchen rasiert. Wenn es ein klareres
Ihr könnt mich mal
gibt, dann kenne ich es nicht.
    »Nicht unser Problem«, sagt die Irin, als mir die Worte ausgehen. »Und ist auch nicht mehr zu ändern. Den Nachtdienst hatten so ein paar lettische Arschkrücken. Die verhökern inzwischen wahrscheinlich das Handy von der Frau.«
    »Dann werft sie raus«, sage ich.
    Da können die beiden nur lachen. »Das Pflegepersonal ist knapp«, meint die Jamaikanerin. »Falls Sie das noch nicht gemerkt haben.«
    Ich habe es gemerkt. Anscheinend haben wir sämtliche Pflegekräfte der Karibik, der Philippinen und Südostasiens aufgebraucht und sind jetzt auch mit Osteuropa schon ziemlich durch. So findet die Gemeinschaft weißer Herrenmensehen, die Nietzsches Schwester in Paraguay gegründet hat, wenigstens Arbeit, wenn sie aus dem Urwald wieder hervorkommt.
    »Den Totenschein stelle ich jedenfalls nicht aus«, sage ich.
    »Super. Soll der Pakistani sehen, wo er bleibt, was?«, meint die Irin. Ihr Gesicht ist erstaunlich dicht am Bildschirm.
    »Akfal ist Ägypter«, sage ich. »Und ihm überlasse ich das nicht. Ich überlasse es eurem Lettenpack. Basta.«
    Die Jamaikanerin schüttelt betrübt den Kopf. »Davon wird die Frau auch nicht wieder lebendig«, sagt sie. »Wenn die den Totenschein ausfüllen sollen, machen die einfach einen Notruf.«*
(Einen »Notruf« oder »Herzalarm« macht man, wenn man so tun möchte, als ob man nicht weiß, dass jemand bereits tot ist
)
    »Das ist mir scheißegal.« »Pamela?«, sagt die Jamaikanerin.
    »Mir auch«, sagt die Irin. »Dumpfbacke«, fügt sie ein wenig leiser hinzu.
    Die Reaktion der Jamaikanerin lässt erkennen, dass sie weiß, dass die Irin nicht sie, sondern mich meint.
    »Sagen Sie's ihnen einfach«, sage ich und gehe.
    Schon fühle ich mich besser.
    Trotzdem brauche ich danach eine kurze Pause. Durch das Moxfan, das ich vor einer halben Stunde eingeworfen habe, und das Dexedrin aus dem Tütchen in meinem Kittel, das ich geschluckt habe, falls mich das Moxfan zu lange warten lässt, fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren. Es geht etwas zu steil aufwärts.
    Ich liebe Dexedrin. Es ist wappenschildförmig, mit einem Längsstrich in der Mitte, so dass es wie eine Vulva aussieht.*
(Das engl, escutcheon, Wappenschild, ist ein altes Wort für die Schambehaarung. Besonders das naturbelassene Schamhaar der Frau hat die Form eines Wappenschilds. Beim Mann ist die Behaarung von Natur aus karoförmig, da sie nach unten zur Leiste und nach oben Richtung Nabel reicht. So kommt es, dass Frauen, die ihr Schamhaar zu einem Karo rasieren, Männer unbewusst verscheuchen.)
Aber schon für sich allein macht Dexedrin es manchmal schwer, die Gedanken oder auch nur den Blick auf etwas zu konzentrieren. In Verbindung mit Moxfan kann es passieren, dass alles zu schwimmen anfängt.
    Also gehe ich in den Bereitschaftsraum, um mich abzuregen und vielleicht ein paar Benzodiazepin zu nehmen, die ich im Bettgestell versteckt habe.
    Aber sowie ich die Tür öffne, weiß ich,
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