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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Autoren: Georg Lehmacher
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ab.
    »Brauchst du noch was? Capnometer oder so …?«, biete ich an.
    »Nö«, sagt er. »Beatmen braucht’s wohl nicht …«
    Klapp. Dann ist die Schiebetür auch schon wieder zu. Einer dieser Einsätze, bei dem ich vom Patienten fast nichts mitbekomme. »Blaulichttaxifahrereinsätze« hatte es mal einer der Ehrenamtler genannt.
    Ich bleibe noch einen Moment hier, auf der vom Verkehr abgewandten Seite des RTW s stehen. Vielleicht brauchen die doch etwas. Ab und zu sehe ich die Kollegen, die sich im Auto hin- und herbewegen. Es ist ziemlich kalt. Immer wieder die Rollgeräusche von Lastwagen, die ihre Fahrt beim Anblick unserer Blaulichter verlangsamen, einmal eine schwere, dunkle Limousine, die in hohem Tempo dicht an uns vorbeirauscht. Die Druckwelle schüttelt an unseren Autos. Die hier erlaubten 120 sind das nicht, und auch sonst keine Spur von angepasstem Tempo.
    Dann geht die Seitentür wieder auf, und der Kollege kommt raus: »So wie es aussieht, hatte er noch Glück. Oberschenkel und Sprunggelenk links, vielleicht auch noch eine Beckenfraktur und …« Einen Teil von dem, was er sagt, verschluckt das Geräusch eines vorbeifahrenden Reisebusses, ehe ich wieder verstehe. »… jetzt ins Klinikum.« Ich weiß genug, gehe zurück zu meinem Auto und fahre den anderen ohne Blaulicht »normal« hinterher in die Klinik.
    Als ich gerade auf das Gelände der Klinik biege, kommt mir ein RTW entgegen, der offenbar auf dem Rückweg zur Wache ist: Beide Kollegen sitzen vorn, ich erkenne Lampe, er winkt mir zu und grinst mir breit entgegen. Wenigstens das ist mir erspart geblieben.
    Eine gute halbe Stunde, nachdem wir die Klinik verlassen hatten, sitze ich nun wieder am Schalter von Isabell. Dieses Mal lasse ich mir von ihr die Personalien des Patienten geben, den meine Notärztin gerade einliefert, um ein Protokoll zu schreiben. »Du bist auch schon lange dabei«, sagt Isabell irgendwann eher nebenbei.
    »Ja.« Ich konzentriere mich darauf, das, was auf dem kleinen Aufkleber steht, den sie mir gegeben hat, in die Felder meines Formulars zu übertragen.
    »Du könntest bestimmt auch die ein oder andere Sache erzählen, die du erlebt hast …«
    »Stimmt.« Ich muss lächeln.
    »Wie bei mir«, sagt sie. »Was glaubst du, was ich hier schon alles gesehen und gehört habe. Und das, obwohl ich bloß am Schalter sitze und die Daten entgegennehme.« Dann steht sie auf und verschwindet irgendwo im hinteren Bereich des Raumes. Ich habe hier soweit alles, die Diagnose lasse ich mir dann im Auto auf der Rückfahrt geben, sobald mein Doc fertig ist.
    »Das Sprunggelenk war auf jeden Fall gebrochen«, sagt Frau Dr. Singer, als wir schon wieder in der Stadtmitte sind. »Und der Oberschenkel. Und ich bin mir ziemlich sicher, auch das Becken.«
    Neben uns eine Straßenbahn, sie fährt etwa gleich schnell, müde Gesichter hinter den Scheiben.
    »Sturz aus großer Höhe?«, frage ich, »ist das nicht automatisch eine Schockraumindikation nach dem Katalog …?«
    »Etwa zwei Meter«, sagt sie.
    »Ich dachte aus dem dritten Stock? Hatte der Kollege gesagt …«
    »Nein. Aus Hochparterre. Im dritten Stock hat er sich mit einer Frau gestritten oder sie hat ihm einen Korb gegeben oder so etwas. Egal, jedenfalls hat er sich dann wohl mit einem Kumpel in Hochparterre zusammen betrunken. Und gerade als er mit der Freundin telefonierte und die einlenken wollte, ist er dann über das Geländer gefallen.«
    »Pfffh.«
    Das Radio läuft leise im Hintergrund. In den Nachrichten meine ich zu hören, dass Glos als Bundeswirtschaftsminister abgelöst wird.
    »Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er Wirtschaftsminister war …«, witzele ich.
    Meine Ärztin lacht.
    »Karl Theodor zu Guttenberg«, frage ich Frau Dr. Singer, »kennen Sie den?«
    »Nein. Keine Ahnung. Nie gehört.«
    »Wenn der aus der Wirtschaft kommt, haben sie jetzt vielleicht mal jemand Kompetentes …«
    Wir warten vor einer Ampel. Sie schaut mich kurz an, fast vorwurfsvoll. Wenn man den Blick deuten könnte, wäre es wohl so etwas wie: »Die? Ach, sicher nicht.«
    Gleich nach unserem Eintreffen in der Wache ist Frau Dr. Singer in ihrem Zimmer verschwunden. Vom RTW keine Spur, die sind offenbar die ganze Zeit unterwegs. Ein gedeckter Tisch, der Ofen steht auf dreißig Grad, und es sind zwei Pizzaschachteln drin. Ich checke das NEF komplett durch, esse später, hänge rum, statt in den Schlafraum zu gehen. Auf dem Sofa döse ich dann ein. Dieser bleischwere Halbschlaf … Immer bekomme
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