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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Autoren: Georg Lehmacher
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neben ihm ist vermutlich etwa zehn Jahre jünger, hauteng gekleidet, stark geschminkt und hat lange blonde, offenbar gefärbte Haare. Während er seine Personalien angibt, unterbricht sie mehrfach, um nachzufragen, ob wirklich all diese Formalitäten notwendig seien, und ob man ihn nicht sofort ansehen und die Angaben später machen könne. Ein aggressiver Unterton.
    Isabell, die die Personalien aufnimmt, fragt nach, was dem Mann denn fehle.
    »Er ist von so einem Idioten angemacht worden, und wir brauchen ein Attest, dass er verletzt wurde, damit wir den anzeigen können.«
    Nach ein paar Notizen drückt Isabell dem jungen Mann einen grauen Ordner in die Hand: »Damit gehen Sie jetzt den roten Pfeilen folgend, bis Sie vor einer Tür mit der Fünfzehn stehen. Da melden Sie sich beim Pfleger.«
    »Kommt er dann sofort dran?«
    »Das wird man Ihnen mitteilen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass nach Dringlichkeit behandelt wird.«
    Das junge Mädchen schnaubt wütend. »Wir werden uns auf alle Fälle noch beschweren.«
    »Bitte – tun Sie das.«
    Aber Isabell schaut auch schon an ihr vorbei in meine Richtung. »So – und was kann ich für dich tun?«
    »Die Kollegen von der Tagschicht haben einen Joachim Weidenberger reingebracht. War eine Reanimation, leider erfolglos. Habt ihr da inzwischen schon Daten? Ich hab nur den Namen.«
    Sie schaut in ihren Rechner.
    »Weidenberger, Joachim, wohnhaft in Gersthofen, geboren 4.1.1929? Könnte das passen? Heute gegen 14.45 Uhr eingeliefert?«
    Ich schaue von der Seite mit auf ihren Bildschirm.
    »Etwa fünfundsiebzig bis achtzig Jahre, ja, das ist er. Hast du alles? Krankenkasse usw.?«
    » AOK .«
    »Und das Geburtsdatum war wann, 1929?«
    »4.1.«
    »Adresse?«
    Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter. Es ist ein Kollege aus einem der anderen Kreisverbände. Ich kenne ihn vom Sehen her, aber ich kann ihn im Moment nicht genauer einordnen und das Namensschild nicht erkennen. Sein breites Gesicht rahmt ein lichter Haarkranz, aus dem die Ohren abstehen. »Na, deine neue blonde Freundin war aber sauer, als sie ging«, scherzt er.
    »Ja, ja«, sage ich. »Mist – jetzt habe ich mich verschrieben.«
    Er fährt fort: »Kennst du den Blondinenwitz mit New York?«
    »Gleich«, sage ich, »lass mich erst fertig schreiben. – Die Straße hab ich, aber die Hausnummer?«
    »48«, wiederholt Isabell. »86368 Gersthofen.«
    »Und Weidenberger ist so richtig?«
    Sie beugt sich vor. »Nein«, sagt sie, »Weydenberger mit ey nicht mit ei.«
    Der Kollege hinter mir hat derweil begonnen, den Witz einem anderen Kollegen lautstark zu erzählen.
    »… sitzen auf einer Parkbank. Sagt die eine: Du, was ist wohl weiter weg: New York oder der Mond?«
    »Hee«, ruft ihm Isabell zu, »geht’s vielleicht auch ein wenig leiser, Herr Kollege?«
    Etwas gedämpft fährt er fort: »Antwortet die andere: Du Dummerle, ist doch logisch, was weiter weg ist. Oder hast du von hier aus …«
    Mein Gott, den Witz kenne ich schon. Und nicht nur ich. Der andere Kollege ergänzt: »… schon mal New York gesehen?«
    Aber statt jetzt Ruhe zu geben, lacht der Kollege laut und sagt: »Ja, genau …!«
    »Noch was?«, fragt mich Isabell.
    »Nein danke. Das wär’s dann.«
    Isabell ist ebenfalls blond, für einen Moment scheint sie zu überlegen, ob sie noch etwas sagen soll, als der Komiker nun wenigstens etwas leiser schon mit dem nächsten Blondinenwitz beginnt. Aber dann schüttelt sie nur den Kopf.
    Eine brünette Dame mittleren Alters, die bei Isabells Kollegen am Nachbarschalter ihre Angaben macht, lehnt sich zurück und schaut den Witzeerzähler angriffslustig an.
    »Herr Lampe, kennen Sie auch einen Witz über einen Sanitäter mit Halbglatze und Segelohren?«
    Klar, der Kollege Lampe , denke ich.
    »Wer war denn das?«, fragt Lampe, nachdem die Dame im Warteraum verschwunden ist.
    »Die arbeitet beim Bezirksverband«, sagt Isabells Kollege. »Mit der würde ich mich eher nicht anlegen.«
    »Oh, hoppla!«, ruft Lampe. Dann sagt er cool: »Na und, ist mir auch egal.«
    »Schönen guten Abend«, höre ich hinter mir. Frau Dr. Singer steht wohl schon einen Moment hinter uns, ohne dass ich sie bemerkt hatte. Dabei dachte ich, ich hätte die beiden Flügeltüren, die zu den Notaufnahmekabinen führen, im Auge behalten.
    »Guten Abend«, antworte ich. »Ich habe Sie gar nicht da rauskommen sehen.«
    Frau Dr. Singer ist noch relativ neu. Ende dreißig, klein. Es ist erst unser dritter gemeinsamer Dienst. Ich
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