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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Autoren: Georg Lehmacher
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fällt ihm aus der Hand und zerbricht auf dem Boden. Er scheint erschöpft zu sein und zittert leicht. Keine Ahnung, wie lange er schon die Druckmassage gemacht hatte, bevor wir kamen.
    Spitzberger sagt ihm: »Mach mal du hier weiter, ich geh an den Koffer«, und drückt ihm den Beatmungsbeutel in die Hand. Dann zieht er das Adrenalin auf, und einen Moment später ist er dabei, die Intubation der Patientin vorzubereiten.
    Ich unterbreche ihn: »Nach dem nächsten Durchlauf wechseln wir dann mal, ja?«
    »Kannst du schon nicht mehr?«, fragt er mit einem spöttischen Gesichtsausdruck.
    »Das Adrenalin?«, fragt Frau Dr. Singer.
    Ich übergehe Spitzbergers Bemerkung.
    Ich drücke weiter, im Hintergrund nehme ich so halb wahr, was die Altenpflegerin der Notärztin erzählt. Dass die Patientin schwer dement ist, nicht mehr weiß, wo sie ist, und sich nicht einmal an ihren Namen erinnern kann. Dass man ein Karzinom in der Lunge von Frau Weydenberger festgestellt und es nicht operiert habe, nachdem man bemerkt hatte, dass sich schon einige Metastasen gebildet hatten. Dass sie aber in Bezug auf Herz und Kreislauf altersentsprechend gesund war.
    Ein Karzinom. In der Lunge von … Der Name. Was sagt mir der Name? Waren wir schon mal hier? Weiter drücken, Georg …
    Lampe hält den Beatmungsbeutel einen Moment hoch. Vor dem Mund der Patientin ist weißer Schaum.
    »Absaugen«, sagt Frau Dr. Singer, »und demnächst defibrillieren wir noch mal.«
    Weydenberger …? Dann fällt es mir wieder ein. Für einen kleinen Moment werden meine Druckmassagen weniger tief und langsamer.
    »Na, bevor du uns umkippst, übernehme ich wieder«, kommt mir Spitzberger zu Hilfe.
    Ich rutsche zurück, mache ihm Platz, ich wollte eh wechseln. Es ist ziemlich warm hier drinnen mit den Winterklamotten. Ich wische mir kurz den Schweiß von der Stirn.
    »Wie lange lag sie hier schon?«, fragt die Notärztin, dann die Altenpflegerin.
    »Nicht länger als fünfzehn Minuten.«
    Die Notärztin hebt ihre Hand leicht an.
    »Moment mal, nichts machen. Ich möchte das EKG sehen.« Auf dem EKG sieht man trotz Defi und Adrenalin eine exakt gerade Linie. Spitzberger wackelt ein wenig am Oberkörper der Patientin, daraufhin sieht man einen ganz kleinen flachen Ausschlag: Die Elektroden und das Kabel sind okay.
    »Aufhören«, sagt Dr. Singer.
    Spitzberger mault: »Wieso … – jetzt schon?«
    »Aufhören«, wiederholt sie ruhig, aber in einem Ton, der keinen Widerspruch zulässt.
    »Jeder Mensch hat irgendwann auch ein Recht zu sterben«, setzt sie etwas leiser hinzu.
    Wir bringen die Patientin noch in ihr Zimmer und legen sie in das Bett. Während Lampe und Spitzberger sich darum kümmern, ihr Absauggerät, den Beatmungsbeutel und die Defi-Paddels zu reinigen und ihren Koffer einzuräumen, bleiben wir noch bei der Patientin und füllen unsere Protokolle aus.
    »Sie hat mich an meine Schwiegermutter erinnert«, sagt Frau Dr. Singer, während sie das gelbe Notarztprotokoll ausfüllt. Die Schwester steht neben uns:
    »Ihr Ehemann ist heute Mittag verstorben.«
    Mein Blick fällt auf ein Foto. Ein junges Hochzeitspaar ist darauf zu sehen.
    »Frau Weydenberger hat in der letzten Zeit von nichts mehr mitbekommen. Auch ihren Mann hat sie nicht mehr erkannt«, setzt sie hinzu.
    Ich schreibe noch, bereite den Transportschein für die Kollegen vor. Immer wieder fällt mein Blick auf das Foto dieses glücklichen Paares.
    »Heute am frühen Nachmittag ist Frau Weydenberger dann sehr unruhig geworden, obwohl sie sonst eher umgänglich und still war. Sie ist immer wieder ziellos auf dem Flur herumgeirrt. Die Tagespflege meinte, sie haben sie ein Dutzend Mal wieder in ihr Zimmer bringen müssen.«
    Ja klar: Das war, weil ihr Mann gestorben war. Sie hat es wohl doch verstanden, als man es ihr gesagt hatte , denke ich.
    Die Pflegerin legt eine kleine Pause ein. Dann fährt sie fort: »Und am Abend hat uns ihr Sohn informiert, dass ihr Mann am Nachmittag verstorben sei.«
    Am Abend?
    Auch Frau Dr. Singer schaut kurz auf, ehe sie weiterschreibt: »Ach … – erfahren hat Frau Weydenberger das erst am Abend?«
    »Nein«, sagt die Altenpflegerin. »Wir hatten es ihr noch gar nicht gesagt.«
    Wenig später gehen Dr. Singer und ich schweigend die Treppen hinunter und zum Auto. Ich melde mich bei der Leitstelle. Die Infos haben sie schon von den Kollegen, die bereits abgefahren sind. Aus dem Funkgerät kommt nur eine einsilbige Antwort: »Richtung.«
    »Also zurück zur Wache«, sage
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