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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Autoren: Georg Lehmacher
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am Abend waren wir noch in diese Lokal, verstehst du, Doktor? Da waren wir noch nie. Ich hab gleich zu ihr gesagt, ich würde hier nicht Fisch essen … Aber die macht immer, was sie will.«
    »Okay«, sagt Dr. Eckmann etwas bestimmter, »aber jetzt sagen Sie mir mal, wann das war mit dem Fisch?«
    »Na, letzten Samstag.«
    »Also vorgestern?«
    »Nein, in die Woche davor.«
    Dr. Eckmann holt tief Luft.
    Der junge Mann sagt: »Ey, Kollege, Herr Doktor! Sie müssen das Lokal sperren lassen.«
    »Na, das sicher nicht. Jedenfalls nicht wegen ihrer angeblichen Fischvergiftung.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil das viel zu lange her ist.«
    Die Klospülung ist zu hören, die Tür öffnet sich. Die junge Frau kommt zurück ins Wohnzimmer. Der neue Kollege stützt sie ein bisschen. Sie setzt sich auf einen Sessel, legt den Kopf zurück und schließt die Augen.
    »Sehi, bring mir mal meine rote Handtasche, sie steht im Schlafzimmer.«
    Tim misst ihren Blutdruck. »130.«, sagt er.
    »Puls?«, fragt Dr. Eckmann.
    »88. Und Sättigung 98.«
    »Jetzt gibt’s einen kleinen Pieks, wir messen den Blutzucker«, sagt der Neue, und wenig später: »Zucker bei 113.«
    Tim hat mittlerweile Temperatur gemessen. »37,4. EKG ?«, fragt er den Doc.
    »Ja, ein kleines genügt.«
    »Mach du, Philipp«, sagt Tim zu dem Neuen.
    Während ich halb in der Tür stehend die Werte mitschreibe, fällt mir auf, wie sehr gepflegt und sauber bei diesen jungen Leuten alles ist. Nebenbei schaue ich kurz auf das offene Schuhregal im Flur. Etwa zwanzig Paar Schuhe, die meisten in Schwarz oder Rot und hoch, ein paar Stiefeletten, ein Paar weiße Schuhe und ein Paar Pumps in Leopardenfelloptik. Daneben ein geschlossenes Schuhregal und auf der anderen Seite davon noch mal einige Paar Schuhe und Stiefel.
    Ansonsten ist der Flur fast leer – bis auf ein goldumrahmtes Bild, eine Fotomontage der beiden Bewohner in Hochzeitskleidung vor einem Sonnenuntergang am Meer, und einen kleinen Kalender mit den Daten von Sonnenauf- und -untergang in verschiedenen Städten.
    »Wann ist Ihre Frau geboren?«, frage ich den jungen Mann. Sehi antwortet, ich notiere.
    Zweiundzwanzig Jahre alt ist die Patientin.
    »Haben Sie eine Krankenkassenkarte?«, frage ich ihn.
    »Ey, Kollege, hören Sie mal, meine Frau ist schwer krank, und Sie interessieren sich nur für die Karte?«
    »Also, so wie es aussieht, geht es Ihrer Frau nicht so schlecht«, sagt Dr. Eckmann.
    Der junge Mann schaut kurz vorwurfsvoll, dann bringt er ihr die rote Handtasche. Sie holt sich eine Packung Zigaretten heraus. Das Feuerzeug ist in die Packung gesteckt.
    »Bitte, rauchen Sie jetzt mal nicht«, sage ich.
    Mit leidender Mine legt sie das Feuerzeug und die Zigaretten auf den Tisch. Der Notarzt setzt sich auf die Kante des Holztischs, der vor ihr steht: »Wenn Sie schwanger sind, sollten Sie das sowieso bleiben lassen. Hat jemand in Ihrer Umgebung irgendeine Magen-Darm-Geschichte?«
    »Nein«, antwortet Sehi für sie.
    Auch seine Frau schüttelt den Kopf. »Vielleicht ist es auch nur von dem Krautsalat. Jedenfalls jetzt ist schon besser«, sagt sie.
    »Krautsalat?«
    »Ja.«
    »Wann haben Sie den gegessen?«
    »So vor einer Stunde …«
    »Seit meine Frau schwanger ist, isst sie so gerne Krautsalat«, sagt Sehi.
    Dr. Eckmann hört den Bauch ab. »Das sind keine Flatulenzen mehr, das sind schon eher Turbulenzen«, meint er leise.
    »Schlimm?«, fragt Sehi besorgt nach.
    »Nein. Blähungen eben. Vielleicht hat sie den Krautsalat so spät nicht vertragen, oder der war nicht mehr ganz frisch.« Er dreht sich wieder der Patientin zu: »Im wievielten Monat sind Sie denn?«
    »Wie?«
    »Na, wie lange sind Sie denn schon schwanger?«
    Die Patientin überlegt.
    Sehi schaut groß, dann antwortet er: »Seit etwa zwei Stunden.«
    »Seit …?« Ein leichtes Zucken in Dr. Eckmanns Mundwinkel. Er hat sich besser im Griff als ich, ich drehe mich weg.
    »Seit etwa zwei Stunden«, sagt Sehi und ergänzt, während er auf die Uhr schaut: »Ungefähr.«
    Jetzt hat auch Dr. Eckmann Mühe, das Lachen zu unterdrücken.
    »Und woher wissen Sie das so genau?«
    »Ey, Mann …«, sagt er nachdrücklich, »… ich bin mir gaaanz sicher«.
    »Schon gut.« Nebenbei schaut Dr. Eckmann noch mal auf das EKG .
    »Ich habe schon die Tasche gepackt für das Krankenhaus«, fährt der angehende Familienvater fort.
    »Ihre Frau muss nicht mit. Es ist soweit alles in Ordnung.«
    »Habe ich doch gleich gesagt«, stöhnt die junge Frau im Sessel, während
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