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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Autoren: Georg Lehmacher
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Martinshörner.
    Dr. Eckmann ist inzwischen bei dem Jungen, dem offenbar auch nichts fehlt. Er lässt sich von ihm, der immer wieder die Augen weit aufreißt und die Hände beschwörend hebt, erzählen, wie er den Unfall erlebt hat.
    »Des glaubst ned, des war voll da Horror …«, sagt das Kind in eindringlichem Tonfall.
    Inzwischen ist auch die Polizeistreife eingetroffen. Marcia klärt ab, ob die Feuerwehr noch anfahren wird. Zum Herausschneiden des Patienten brauchen wir sie nicht mehr. Aber es riecht nach Benzin und Öl – und eventuell ziehen die den Lieferwagen gleich vom Baum weg auf die Straße, damit er abtransportiert werden kann. Und dann hören wir mehrere Martinshörner durcheinander aus einer der umliegenden Ortschaften.
    Nur ein paar Meter von Jens und mir entfernt spricht eine jüngere Polizeibeamtin mit der Fahrerin.
    »Na, i hob nix drunka, i hob blos vasuacht, den Scheißradio gscheit zum Laffa z bringa …«, sagt die Fahrerin.
    Jens schaut mich wieder fragend an.
    »Das war wieder Bayerisch, Jens. Es bedeutet, dass sie zu Protokoll gibt, nicht alkoholisiert zu sein und dass der Unfall geschah, als sie gerade dabei war, ihr Radiogerät zu justieren.«
    Jens hat die kleine Spitze in meiner sehr hochgestochenen Übersetzung verstanden und antwortet mir knapp mit einem bayerischen: »Volldepp.«
    Marcia bittet die Frau, sich doch noch in unserem Rettungswagen untersuchen zu lassen, der Junge ist schon drinnen. Vermutlich fehlt den beiden wirklich nicht viel. Mit vielem Zureden bringen wir die Mutter anschließend noch dazu, mit Marcia und Jens mitzufahren und sich mit ihrem Sohn zusammen in einer Klinik in der Gegend kurz durchchecken zu lassen. Nicht alles kann man am Einsatzort sicher »ausschließen«.
    Bevor Dr. Eckmann und ich uns wieder »frei« melden, schauen wir uns noch einmal das Führerhaus rund um den Sitz an. In der Mitte zwischen den Sitzen ist alles komplett eingedrückt und zerstört, vom Motorblock ragen Teile nach oben in die deformierte, zersplitterte Scheibe, nur gerade da, wo die Sitze sind, ist bis herunter zu den Pedalen mehr oder weniger alles in Ordnung. Das Blech des Laderaums hinten ist weit aufgerissen, eine Heckklappe hängt verbogen nach unten, überall liegen weiße Pakete herum.
    »Mann, das gibt’s ja gar nicht, wenn ich das nicht mit eigenen Augen sehen würde. Hammer!«, sage ich, mehr laut denkend.
    »Man meint, das Ding sei aus Pappe«, stimmt mir einer der vielen Feuerwehrmänner zu, die inzwischen angekommen sind und neben mir stehen.
    Kurz darauf sind wir auf der Rückfahrt. Dr. Eckmann hat sich entschieden, den Transport nicht zu begleiten. Ich schaue auf die Uhr. Auf kalte Pommes habe ich keine Lust, aber vielleicht kann ich den Burger noch essen.
    Doch als ich schon abbremsen will, um in die Wache einzubiegen, kommt es anders: eine neue Meldung der Leitstelle.
    Es geht in die Stadt. Welserpark, wir sollen von der Josefstraße her anfahren, bewusstlose Person.
    Ich wende: kurz vor dreiundzwanzig Uhr und sehr hungrig.
    Vor dem Eingang zum Welserpark ist niemand zu sehen, weder ein Passant noch ein angekündigter Rettungswagen aus der Stadt, geschweige denn eine bewusstlose Person.
    Der Park ist schlecht beleuchtet. Dunkle Zweige, die von der Seite her in den Weg ragen, wenn man diesen Weg überhaupt ausmachen kann. Auch hier ist niemand zu finden. Erst, als wir zurück auf dem Weg zum Auto sind, meine ich, im Dunkel zwischen den Bäumen und Sträuchern ein paar Meter weiter etwas zu erkennen. Dann erschrecke ich: Das sind die Beine eines Menschen.
    »Hier!«, rufe ich. Dr. Eckmann ist schon wieder beim Auto.
    Völlig entstellt liegt diese Person da, beim Anblick der seitlich nach hinten verbogenen Beine zieht es in meinen Knien. Es sieht übel aus, und schon bevor ich den Patienten erreicht habe, schießt mir durch den Kopf: So liegt kein Mensch da, der noch lebt!
    »Hier!«, rufe ich noch einmal. Vielleicht ist es ein Gewaltverbrechen? Ich überlege, ob ich schon jetzt mit dem Handfunkgerät die Polizei dazurufen soll. Als ich den leblosen Körper erreiche, erkenne ich eine Frau in einem Wintermantel. Aus Routine heraus fasse ich ihr erst einmal an die Schulter. Im Hintergrund hört man den Verkehr der Stadt, irgendwo hupt ein Auto, und ein Geräusch, das klingt wie ein größerer Wagen, der gerade anhält, es könnte unser Rettungswagen sein, die Schritte von Dr. Eckmann sind schon fast bei mir.
    »Hallo«, rüttle ich die Frau leicht. Aber als sie sich
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