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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben
Autoren: Stefan Holtkötter
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egal, ob sie ein Geständnis
ablegte oder nicht.
    Nach der Vernehmung von Bertolt Lütke-Brüning und Marc Tenholte
hatte sich bereits ein klares Bild der Geschehnisse abgezeichnet.
    Hambrock stellte seinen Kaffeebecher ab.
    »Wann starb Ihr Bruder?«, fragte er.
    Sie antwortete nicht.
    »Tim hieß er, nicht wahr?«
    »Timmy«, sagte sie, ohne ihn anzusehen. »Keiner hat ihn Tim
genannt.«
    »Er starb vor sieben Jahren. Er ist mit seinem Auto gegen einen Baum
gefahren, auf dem Weg von einer Party nach Hause. Wo waren Sie in der Nacht, in
der er starb?«
    Zunächst sagte sie nichts. Dann klang es, als käme ihre Stimme von
weither. »Zu Hause.« Er wartete, und tatsächlich fuhr sie nach einer Weile
fort. »Ich durfte nicht mit auf die Party. Ich war noch zu klein.«
    »Die Party, auf der Timmy gewesen war? Wären Sie gerne mitgegangen?«
    »O ja. Furchtbar gern. Ich hab mit meinen Eltern deswegen
gestritten. Doch sie haben es verboten. Ich lag heulend im Bett, als er noch
einmal zu mir kam, abends. Er hat sich ans Bett gesetzt und mich getröstet.
Mach dir nichts draus, hat er gesagt, in drei Jahren bist du sechzehn, dann ist
es immer noch früh genug, auf Partys zu gehen. Er hat mir übers Haar gestrichen
und gesagt: Dann wirst du die süßeste Sechzehnjährige weit und breit sein.
Warte es ab. Den Jungs werden die Augen ausfallen, du wirst keine Ruhe vor
ihnen haben. Aber wenn dir einer zu nah kommt, sagst du mir Bescheid, dann hau
ich ihm eins auf die Nase. Da habe ich aufgehört zu weinen, und er sagte: In
drei Jahren fangen wir an, die Nacht unsicher zu machen. Versprochen. Nur du
und ich. Wie hört sich das an?«
    Sie starrte noch immer ins Nichts. Eine Träne lief ihr über die
Wange.
    »Gut, habe ich gesagt. Das hört sich gut an. Doch dann stand mitten
in der Nacht die Polizei vor unserer Tür. Sie sagte, dass es einen Unfall
gegeben hat.«
    »Was ist in dieser Nacht passiert?«, fragte Hambrock. »Wie ist es zu
dem Unfall gekommen?«
    »Timmy hatte zu viel getrunken. Er hätte nicht mehr fahren dürfen.«
Plötzlich veränderte sich ihre Stimme, sie wurde hart. Sie sah Hambrock nun
direkt in die Augen. »Unter normalen Umständen wäre er niemals gefahren, er war
ja nicht dumm. Aber dann hat er sich mit seiner Freundin gestritten, draußen
auf dem Parkplatz. Er war wütend und wollte nach Hause. Sie wusste, wie
betrunken er war. Doch sie hat ihn nicht davon abgehalten, sich hinters Steuer
zu setzen. Sie hat daneben gestanden und zugesehen.«
    »Diese Freundin war Sandra Hahnenkamp, nicht wahr?«
    »Sie war wütend und hat ihn nicht aufgehalten. Ihretwegen ist mein
Bruder gestorben.«
    »Und dafür musste sie nun bezahlen?«, fragte Hambrock.
    »Ganz genau«, sagte sie mit fester Stimme. »Mein Bruder war tot. Es
war meine Aufgabe, ihn zu rächen.« Sie verschränkte die Arme. »Ich habe die
Aufgabe erfüllt. Warum soll ich mich dafür schämen? Machen Sie mit mir, was sie
wollen. Es ist mir egal. Ich bereue nichts.«
    Hambrock war erstaunt über so viel Härte. Er lächelte.
    »Erzählen Sie mir, wie Sie es getan haben.«
    »Was wollen Sie hören?«
    »Fangen wir damit an, wie Sie Bertolt dazu gebracht haben, da
mitzumachen.«
    In ihr Gesicht trat ein selbstzufriedener Ausdruck. »Das hat Marc
übernommen«, sagte sie. »Glauben Sie mir, es war leichter als gedacht. Er hat
für einen Flirt zwischen Sandra und Bertolt auf dem Bullenball gesorgt. Wir
wussten ja, wie das bei Bertolt ankommen würde. Später hat er ihm gesagt, dass
er sich von Sandra nicht demütigen lassen darf. Dass er es dieser Schlampe
heimzahlen soll. Irgendetwas in der Art. Wie das so ist unter Männern. Bertolt
war dumm genug, sich davon überzeugen zu lassen. Ich habe ihm dann den letzten
Anstoß gegeben. Als weibliche Autorität sozusagen. Ich habe ihm gesagt, dass
Sandra ein billiges Flittchen ist und dass er es ihr heimzahlen muss. Wir
hatten ihn fast so weit. Ein oder zwei Monate später, und er hätte uns die
Arbeit ganz abgenommen.«
    Hambrock begriff plötzlich. »Doch dann erfuhren Sie, dass Martin Probst
geflohen war. Und dadurch änderten sich Ihre Pläne.«
    »Ein Kumpel von uns ist Polizist in Borken. Von ihm wussten wir, was
passiert ist. Es war eine einmalige Gelegenheit, jemand anderem die Tat in die
Schuhe zu schieben. Einem Arschloch noch dazu. Also haben wir die Sache
vorverlegt. Am Abend war Jens’ Geburtstag, und wir wussten, dass Sandra mit dem
letzten Bus aus Münster kommen würde. Bertolt hat im Bushäuschen auf
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