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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben
Autoren: Stefan Holtkötter
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sie
gewartet. Er hat sie überwältigt und dann getan, was getan werden musste.«
    »Er hat es aber nicht zu Ende gebracht.«
    »Nein, er ist eben doch nur ein Schwächling.« Voller Verachtung
fügte sie hinzu: »Er hat sich aber amüsiert. Er hat Sandra vergewaltigt. Aber
danach hat er geheult und gejammert, dass er sie nicht töten kann. Als wenn eine
Vergewaltigung so viel besser wäre als ein Mord. Fragen Sie mal Klara.«
    »Wer hat es stattdessen getan?«
    Hambrock hielt die Luft an. Er hatte bereits Marcs Aussage dazu,
doch würde sich die mit Linas decken?
    »Es war Marc«, sagte sie kühl.
    »Wie hat er es gemacht?«
    »Er hat sie erwürgt. Wir standen hinter einer Böschung und haben
gewartet, dass Bertolt es zu Ende bringt. Doch als er versagt hat, ist Marc ins
Bushäuschen gegangen. Er hat sie für mich getötet.«
    Hambrock betrachtete sie nachdenklich. Wie sehr sich das Gespräch
mit ihr von dem mit Marc Tenholte unterschied. Der hatte nämlich herumgeschrien
und geflennt, hatte ihn beschimpft und dann wieder gewimmert.
    Dennoch deckten sich ihre Aussagen in diesem Punkt.
    »Mein Gott, ich liebe Lina!«, hatte er gebrüllt. »Ich würde alles
für sie tun. Und Sandra, diese Schlampe, hat es doch auch verdient. Sie war
schuld, dass Linas Bruder tot ist. Natürlich habe ich sie erwürgt.«
    Immer wieder hatte er gesagt: »Ich liebe sie!«, als wenn das eine
Entschuldigung für seine Tat wäre.
    Lina dagegen ließ wenig Emotionen spüren. Sie wirkte beherrscht,
geradezu gelassen.
    »Er hat sie tatsächlich für Sie getötet?«, fragte er.
    Sie lächelte spöttisch. »Marc ist ein Idiot. Er denkt, er ist
unschlagbar und hat alles in der Hand. Er merkt gar nicht, wie leicht er sich
manipulieren lässt. Er stand die ganze Zeit unter meinem Einfluss. Das machte
seine Machonummer nur noch lächerlicher. Aber was soll’s, er war perfekt für
meine Zwecke. Nach jemandem wie ihm habe ich lange gesucht. Es hat sieben Jahre
gedauert, bis ich endlich so weit war, meine Rache umzusetzen. Sieben Jahre, um
alles zu planen und die richtigen Leute zu finden, die das Notwendige tun.«
    Hambrock schwieg. Sie sah ihn herausfordernd an.
    »Schockiert Sie das etwa?«
    Er hatte gar nicht vor, darauf zu antworten. Doch etwas in ihrem
Blick ließ ihn zögern.
    »Ja«, sagte er dann. »Ja, das schockiert mich.«
    »Es war Timmy! Mein Timmy! Wie konnte die Welt sich weiterdrehen,
solange keiner bezahlt hatte für das, was mit ihm geschehen war? Sieben Jahre
lang habe ich dies hier geplant. Sieben Jahre, und am Ende habe ich es
geschafft.« Sie sah ihm fest in die Augen. »Und soll ich Ihnen was verraten?
Ich bin stolz darauf.«
    Hambrock schwieg. Er erinnerte sich an das, was er Klara über Mörder
erzählt hatte. Dass sie die Verantwortung von sich schoben, weil sie es nicht
ertragen konnten, sich ihr zu stellen.
    Er lehnte sich zurück und nahm seinen Kaffeebecher.
    »Es ist spät«, sagte er. »Wir sollten alle längst im Bett sein. Ich
denke, es ist besser, wenn wir morgen weitermachen.«
    Er verließ den Vernehmungsraum und gab den beiden Beamten vor der
Tür ein Zeichen, die Gefangene in ihre Zelle zurückzuführen. Auf dem Weg zum
Treppenhaus warf er den leeren Kaffeebecher in den Papierkorb. Er war froh,
endlich nach Hause zu können.
    Der Himmel war stahlgrau, leichter Nieselregen fiel auf
die Landschaft nieder. Es herrschte Tauwetter. Überall waren die
Aufräumarbeiten in vollem Gange, auch wenn es noch Tage dauern würde, bis die
Schneemassen ganz geschmolzen wären.
    Das Gerippe eines zusammengestürzten Starkstrommastes stand auf
einem Feld neben der Straße, es erinnerte Hambrock an ein Saurierskelett aus
dem Museum. Techniker mit schwerem Gerät errichteten einen provisorischen
Strommast. Er fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis auch in den
letzten Ortschaften der Strom zurückgekehrt war. Da klingelte sein Handy, und
er fuhr rechts heran. Es war Heike, sie rief aus dem Büro an.
    »Hallo, Hambrock. Ich suche dich gerade, aber du bist nicht im Büro.«
    Er hätte sich denken können, dass es auffallen würde, wenn er sich
wegschlich. »Ich habe einen Außentermin.«
    »Was denn für einen Außentermin? Davon weiß ich ja gar nichts.«
    »Nicht so wichtig. Was gibt es denn?«
    »Wie es aussieht, können wir die Akte im Fall Sandra Hahnenkamp
schließen. Ich habe noch mal mit Frau Wendland gesprochen, und es ist genau so,
wie du es vermutet hast. Kein Mensch hat damals Sandra für irgendwas
verantwortlich
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