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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben
Autoren: Stefan Holtkötter
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Probst gar nicht
begriff, was passierte. Das Brett traf ihn am Kopf und riss ihn von seinem
Opfer herunter. Er gab ein erschrockenes Japsen von sich, dann verlor er das Bewusstsein
und blieb mit heruntergelassenen Hosen auf dem Scheunenboden liegen. An seinem
Kopf war eine Platzwunde entstanden, Blut rann über sein Gesicht und tropfte in
den Staub hinab.
    Lina hob das Brett erneut in die Luft und stellte sich schlagbereit
über ihn. Als ihr klar wurde, dass er vorerst außer Gefecht gesetzt war, ließ
sie es sinken und stürzte auf Klara zu. Ihre Freundin hatte sich auf die Seite
gedreht, sie krümmte sich und drückte die Hände an ihre Scham.
    »Klara! Hörst du mich?«
    Sie reagierte nicht. Lag einfach starr am Boden, sagte nichts, tat
nichts. Lina wurde nervös. Sie bettelte ihre Freundin an.
    »Sag doch was. Klara. Bitte.«
    Sie hob das Brett. Ihre Stimme war kaum noch mehr als ein Flüstern.
    »Sollen wir ihn töten? Du musst es mir nur sagen.«
    In diesem Moment wurde es hell. Licht flammte auf. Die
Hofbeleuchtung, die Fenster im Haus, sogar die Leuchtstoffröhre unterhalb des
Scheunenbalkens begann zu flackern. Der Strom war zurückgekehrt.
    Lina achtete nicht darauf.
    »Sollen wir ihn töten?«
    Doch Klara lag einfach da und starrte aus leblosen Augen. Es war,
als hätte sie nicht einmal bemerkt, dass ihre Freundin sie gefunden hatte.
    Plötzlich wurde es hell. Hambrock wäre beinahe ins
Straucheln geraten. Die Hofbeleuchtung flammte im selben Moment auf, in dem er
die Auffahrt erreicht hatte. Er hielt sich schützend die Hand vor Augen.
    Ingeborg war direkt hinter ihm. Sie stöhnte auf, als das grelle
Licht sie blendete. Dann stolperte sie weiter.
    »Die Scheune!«, rief sie.
    Hambrock hörte den Hund im Innern jaulen. Es war ein furchtbares
Geräusch. Etwas musste passiert sein.
    Er schlich zur Scheunentür und lugte vorsichtig hinein. Was er sah,
raubte ihm den Atem. Er wollte Ingeborg zurückhalten, doch da war es bereits zu
spät. Ihr Schrei ließ ihn zusammenfahren. Sie stand im offenen Tor und blickte
an ihm vorbei zu ihrer Tochter. Klara lag zusammengerollt am Boden, Hose und
Slip waren heruntergerissen, Jacke und Pulli brutal nach oben gezerrt. Sie
regte sich nicht.
    Lina stand hilflos vor ihr, mit beiden Händen hielt sie das Brett,
mit dem sie Martin Probst bewusstlos geschlagen hatte.
    Hambrock erfasste die Lage. Probst begann sich zu regen. Lina
versuchte, mit Klara zu reden. Sie achtete nicht auf ihn.
    »Kümmere dich um Klara!«, rief er Ingeborg zu. Doch das war gar
nicht nötig, denn sie rannte bereits zu ihrer Tochter und warf sich schützend
über sie.
    »Ich bin zu spät gekommen«, stammelte Lina. »Ich habe sie überall
gesucht.«
    Hambrock stürzte sich auf Martin Probst, fixierte dessen Arme hinter
dem Rücken und zerrte ihn nach draußen, so schnell wie möglich heraus aus
Klaras Blickfeld.
    Er wies Lina an, ihm zu folgen. Klara sollte mit ihrer Mutter
alleine sein. Draußen presste er Probst auf den Boden, sein Gesicht drückte er
in den Schnee. Mit einer Hand zog er sein Handy hervor. Die Batterie war noch
nicht leer, er hatte es zwei Tage lang nicht benutzt. Und tatsächlich hatte er
Empfang. Er stieß einen Seufzer aus. Dann rief er Verstärkung.
    Kurz darauf trafen Polizei und Krankenwagen ein. Die Straßen waren
weitgehend geräumt, und die Einsatzkräfte kamen gut voran. Plötzlich herrschte
aufgeregte Betriebsamkeit auf dem Hof, die Gebäude leuchteten im Widerschein
der zuckenden Blaulichter. Lina stand immer noch im Scheunentor und betrachtete
stumm das Geschehen. Hambrock wartete, bis Martin Probst in Gewahrsam genommen
und Klara mit ihrer Mutter zum Krankenwagen gebracht worden war. Dann besprach
er sich mit den eingetroffenen Kollegen und erörterte die Lage, und als die
Situation endlich unter Kontrolle gebracht war, trat er auf sie zu, nahm seine
Handschellen und sagte: »Lina Wendland, ich verhafte Sie wegen
gemeinschaftlichen Mordes an
Sandra Hahnenkamp.«

29
    Im Vernehmungsraum war es so still, dass man glauben
konnte, die restliche Welt existierte nicht mehr. Aber vielleicht lag das auch
einfach an der Uhrzeit. Hambrock spürte die Müdigkeit in seinen Knochen.
Dagegen konnte auch der viele Kaffee nichts ausrichten, den er in den letzten
Stunden getrunken hatte.
    Lina Wendland saß ihm gegenüber am Vernehmungstisch. Sie war blass
und sah ihn nicht an. Demonstrativ starrte sie auf irgendeinen imaginären Punkt
in der Luft. Sie wusste, dass es vorbei war. Ganz
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