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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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Judith Zander
     
    DINGE, DIE
WIR HEUTE SAGTEN
     
    Roman
     
    JOHN &
PAUL
     
    irgendwann
wenn ich einsam bin
    wünschend
du wärst nicht so weit weg
    werde ich
mich erinnern an Dinge
    die wir
heute sagten
     
    ROMY
     
    So glotzen sie vom Regal: die
bröckligen Leiber im spitzen Winkel, die Scheren die Schenkel, leichte
Schlagseite beide. Zwielicht. John und Paul. Mehr gibts nicht zu sagen? Achso,
Paul fehlt ein Auge. Nicht so schlimm, Paul is dead . Das ist kein Rätsel, das ist
offensichtlich. Wie auch immer. However. Was für ein Wort. Es ist großzügig,
niemand hier kennt es, aber es klingt wie die Wellen, wenn sie gemächlich sich
dem Strand überlassen, die ganze Ostsee singt beständig however, however. Es
klingt beinah wie ein Name.
    Was weiß das Dorf schon davon,
das kleine Kaff im Hinterland. Mamas dusslige Heimat, »Sammelstelle für
Bekloppte«, wie Papa zu sagen pflegte, bevor wir herkamen vor einem Jahr, aus
der Stadt, na ja Stadt. Und sechs Kilometer machen noch keinen Unterschied. Nur
döst jetzt vor der Haustür der Acker, das geschorene Feld mit den blonden,
harten Stoppeln, moddrig und mürrisch, vom gleichen Schlag. Hinterm Rücken, auf
der Lauer, die sogenannte Gemeinde, dort klatscht und tratscht und meckert und
schuftet und lungert es wie ehedem. Und es guckt Fernsehen, hauptsächlich.
Darüber der brösige Himmel, die käsige Käseglocke. Es stinkt im Dorf. »Alles
Inzest«, sagt Papa.
    Mittendrin der Eingang zur
Hölle. Es ist nicht die Kneipe, wo bekanntlich »der Teufel Alkohol« haust. Es
gibt keine Kneipe in Bresekow. Es gibt überhaupt nichts. Es ist das Zentrum des
Nichts, das sich kurz hinter Berlin auftut und bis Rostock nicht aufhört. Hier
liegen die verschwiegenen Orte, nachlässig verschüttet in einer Landschaft zum
Übersehen, flach. Ein hässliches Endlein der Welt, über das man besser den Mund
hält. Das Dorf kennt keine Aufregung, es regt sich nur gern auf. Über ein
Geheimnis, das nicht verheimlicht wird. Das wird nicht gehütet, das wird
sorgsam sich selbst überlassen, das wird genannt: die Elpe. Es ist kein Fluss
oder so, keine tüdlige alte Verwandte der Elbe. Man muss es sehen. Man will
aber nicht.
    Auf der Elpe treffen sie sich,
allabendlich. Auf der Elpe bauen sie Scheiße, auf der Elpe machen sie sonstwas.
Auf der Elpe saufen sie. Auf der Elpe kiffen sie. Auf der Elpe drücken sie sich
in muffigen Ecken rum und zeigen sich ihre Solariumsbäuche und hängen
unerschütterlich dem Glauben an, ihre Zungen seien dazu da, sie sich
gegenseitig in den Rachen zu stopfen. Es kreischen die Mädchen auf der Elpe,
die Jungs teilen gerne aus. Auf der Elpe gibts Sauren Appel und Kloppe. Auf die
Elpe geh ich nicht. Nein, meine Suppe ess ich nicht. Das ist nicht mein Bier,
was da passiert, was da verschüttet wird. Die Bomberjacken, die Woche für Woche
speckiger werden. Die dröhnenden Witze, die immer noch dreckiger werden können
anscheinend. Die Auswüchse, spillrigen Ranken, Mädchengesichter überwuchert
von Schminke, was gehn sie mich an. Die Wurzeln der Hölle.
     
    INGRID
     
    Die Heimat, na wenn schon.
    »Da fahren wir also in deine
Heimat«, sagt Michael, auf Deutsch, und grinst.
    Du sagst: »Das ist nicht meine
Heimat«, und da lacht er dich aus. »It's not my heimat, you know, und sei froh,
dass du so ein Wort in deiner einfachen Sprache nicht hast!«
    Dann versucht er, dich in den
Arm zu nehmen, du glaubst, ihretwegen, aber du willst nicht, du rennst raus in
den Garten. Manchmal kann man dort das Meer hören, wie diesen Abend. Dass es
hier noch >Kanal< heißt, stört dich nicht, und ein Georg ist dir doch
nicht bekannt, von früher, zumindest kein heiliger. Die Luft schmeckt kalt und
salzig, und du denkst, das ist der Herbst, früh dieses Jahr, und du wirst
seinen Einzug verpassen. Dann fällt dir ein, dass drüben ja auch Herbst ist.
Nur anders. Zwar auch, aber anders, da bestehst du drauf, stures Kind, weißt
aber nicht, was du meinst damit. Verseucht, in- und auswendig, heillos. So was.
Du hast die neuen Strumpfhosen zum Schulbeginn im Kopf und den
Zuckerrübengeruch in der Nase, im Nacken ein Brennen wie von Hagebutten, die
lästigen Bengels.
    Trotzdem, der Herbst tat stets
gut. Die Langeweile hörte auf. Man kam sich wieder brauchbar vor. Überhaupt
anwesend. Im Sommer warst du nirgendwo, nicht im Bikini am See, nicht in der
Eisdiele in der Stadt. Nicht im Heu mit irgendwem. Im Sommer hatte ständig
einer Geburtstag. Im Herbst hast du kaum an irgendetwas
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