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Hoellenengel

Hoellenengel

Titel: Hoellenengel
Autoren: Thráinn Bertelsson
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Eins
    Um 09:53 Uhr am 24. Juni, dem Johannistag, legte die Stockholmer
Fähre M/S Romantika am Kai in Tallinn an.
    Jaanipäev ,
Mittsommerfest in Estland.
    Die Johannisnacht ist der Moment des Jahres, da die
Liebenden Koit , der Sonnenaufgang, und Hämarik ,
die Abenddämmerung, sich endlich begegnen; eine kurze
Umarmung, Lippen, die sich in einem brennend heißen Kuss
einen Augenblick lang berühren, dann reißt die Nacht sie
erneut auseinander.
    Die Fahrt über die Ostsee hatte etwa 15 Stunden gedauert, wenn
man einen kurzen Aufenthalt in Mariehamn auf den Åland-Inseln
ausnimmt.
    In weniger als einer Stunde gingen 2416 Passagiere von Bord, davon
ein Drittel in fast dreihundert Autos, die sich eins nach dem
anderen aus dem Gedärm dieses 26000-Tonnen-Ungeheuers
schlängelten.
    Die Zöllner baten pro forma 17 von den 1684
Fußgängern, ihre Taschen oder Rucksäcke zu
öffnen.
    Als einer der Ersten von den 1667 Reisenden, denen die Zöllner
keine Beachtung schenkten, kam Nordpol an Land, ein gut aussehender
junger Mann in Turnschuhen, schwarzen Jeans und schwarzer
Lederjacke, mit einem großen Rucksack und einer Sporttasche
in der Hand.
    Als er Terminal D verließ, hielt er einen Moment inne, um
sich zu orientieren. Sah ein Taxi sich nähern, winkte es
heran, nahm den Rucksack ab und warf sein Gepäck auf den
Rücksitz.
    »Central Bus Station, Lastekodu 46«, sagte er und tat
so, als sähe er die Reisenden nicht, die in einer Reihe bei
einem Schild warteten, auf dem Takso-Taxi stand.
    *****
    Der internationale Flughafen von Tallinn liegt am östlichen
Ufer des Ülemiste-Sees etwa vier Kilometer von der Innenstadt
entfernt und trägt denselben Namen wie der See.
    Um 12:17 Uhr landete Ulrich mit dem SAS-Flug SK846 von Kopenhagen,
den er am Vorabend von Amsterdam aus erreicht hatte. Er war wie
Nordpol zwischen zwanzig und dreißig, dunkel gekleidet, ein
schlanker junger Mann, der die Aufmerksamkeit der Zöllner
nicht auf sich zog.
    *****
    Der Letzte des Trios war Karl. Er nahm den Lufthansa Flug LH2266
vom Flughafen Tegel in Berlin, flog nach einer Zwischenlandung in
Warschau mit der neuen Flugnummer LH2290 weiter und landete um
13:55 Uhr in Tallinn.
    Karl brach um 15:35 Uhr in einem der Reisebusse auf, die vom
zentralen Busbahnhof am Lastekodu 46 halbstündlich zum
Nationalpark Lahemaa in der Nähe von Tallinn fahren. Die
Fahrtzeit betrug nicht mal eine Stunde, sodass ihm noch genug Zeit
blieb.
    Das Rendezvous war um 23:00 Uhr auf einer Waldlichtung knapp acht
Kilometer westnordwestlich der Fremdenverkehrszentrale von Lahemaa
geplant.
    *****
    Entsprechend bestimmter Normen im Fernmeldewesen wird ein
sogenanntes Buchstabieralphabet verwendet, um Durchsagen im
Flugverkehr oder beim Funken zu erleichtern.
    Das Alphabet, das die Deutschen im Zweiten Weltkrieg benutzten,
lautete wie folgt: A ­ Anton, B ­ Berta, C ­ Caesar,
Dora, Emil, Friedrich, Gustav, Heinrich, Ida, Julius, Karl , Ludwig, Martha, Nordpol , Otto, Paula, Quelle, Richard,
Siegfried, Theodor, Ulrich , Viktor, Wilhelm, Xanthippe, Y
­ Ypsilon, Z ­ Zeppelin.

Zwei
    Der Wächter war stolz auf seinen Beruf.
    »Schiphol ist der einzige Flughafen Europas, der ein eigenes
Leichenschauhaus besitzt«, sagte er gut gelaunt.
    »Jährlich reisen hier fast 50 Millionen Menschen
durch.
    Die meisten kommen glücklicherweise lebendig an, aber manche
geraten doch für kürzere oder längere Zeit in unsere
Verwahrung. Slobodan Milosevic ist zweifellos unsere
berühmteste Leiche. Er besuchte uns kurz nach seinem Tod und
blieb über Nacht. Wir kamen auch in die Nachrichten, als in
einem Mülleimer des Duty-freeShops eine mumifizierte
Babyleiche mitsamt sieben Schädeln gefunden wurde. Ihr
Besitzer hat sich nie gemeldet. Wir vermuten, dass es Souvenirs aus
Peru waren, mit denen sich der Reisende nicht durch den Zoll
traute.
    Ich kann Ihnen die Mumie des Kindes zeigen, wenn Sie Interesse
haben, aber die Schädel werden beim NFI in Den Haag
aufbewahrt. Es sei denn, die haben sie schon
verschlampt.«
    Der Wärter verstummte, als Hoofdinspecteur Derk van Turenhout
ihm seine Pranke auf die Schulter legte und auf Holländisch
etwas zuflüsterte.
    »Entschuldigen Sie«, sagte der Wärter und sah
Þórhildur an. »Ich wusste nicht, dass die Dame
ihren Sohn sucht. Die Idioten vom DIP haben nichts davon gesagt,
dass es sich um etwas anderes als einen normalen Polizeibesuch
handelt.«
    »Das war ich, der angerufen hat«, bemerkte van
Turenhout.
    »Darf ich Sie bitten, hier zu warten?«,
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