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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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ja
Zeit, ich bin ja zu Hause, ich komm ja sonst um vor Langeweile, wenn sie mich
nicht anruft und mir Aufgaben zuteilt. Und als braver Christenmensch sagt man
ja nicht nein. Nein, Renate, mach ich nicht, du kannst mich mal am Tüffel
tuten. Such dir einen andern, die müssen sich nämlich auch nicht alle den
lieben langen Tag ihre Ärsche vorm Fernseher plattsitzen.
    Jaa, ich guck auch mal ne
Talkshow. Aber nicht die blöden, wo es nur um große Busen, kleine Busen geht.
Die tun ja alle, als müssten sie gleich sterben, bloß weil die entsprechende
Oberweite fehlt, na. Ich hab nun immerhin auch schon vierzig jähre damit
überlebt, oder na ja, also, jetzt nicht vierzig, aber. Manchmal kommt aber
auch was Interessantes, zum Beispiel, wenn sich Leute nach soundsoviel Jahren
wiedertreffen, und manche keifen sich dann immer noch an. Meistens hab ich das
beim Mittagmachen an, und dann kommt Romy von der Schule und sieht mich da auf
der Lehne vom Sessel sitzen, wenns grad spannend ist, aber ich setz mich nie
richtig hin, muss ja immer mal nach dem Essen gucken. Dann kommt sie rein und
trampelt mir den Flur voll und rollt mit den Augen, Mama, was guckst du denn
schon wieder für einen Scheiß. Ich glaub, sie hat Angst, dass ihre Mutter dabei
langsam, aber sicher verblödet. Sie hat mich mal gefragt, wie ich das aushalte,
ob mir da gar nicht komisch wird, wenn diese - Friedhelm würd sagen:
»Knallkörper«, wenn die ihr doofes Zeug von sich geben. Nö, hab ich gesagt, ich
hab gar nicht genau gewusst, was sie meint. Na, ob mir das nicht irgendwie
peinlich war.
    »Peinlich, wieso«, hab ich
gesagt, »nu übertreib ma nich. Andre Leute gucken sich noch ganz andre Sachen
an.«
    »Ach, Mama, du verstehst nich,
was ich mein«, sagt sie da, sagt sie neuerdings ständig, und ich weiß nicht, ob
aus Prinzip oder weil sie mich wirklich für schwer von Kapee hält oder bloß zu
faul ist, mir was zu erklären. Ich hab manchmal Angst, dass sie ein bisschen
überheblich wird, die Leute denken wahrscheinlich sowieso, was ich da bloß
fürne arrogante Tochter hab, weil sie den Mund ja nicht aufkriegt, die grüßt
auch nicht. Ich weiß ja, dass ich sie nerve, wenn ich immer sag, grüß die Leute
im Dorf, und sie macht das dann erst recht nicht. Sie sagt: »Warum soll ich die
grüßen, ich kenn die doch gar nicht.« Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.
Aber die kennen mich alle, und auf dem Dorf ist das nun mal so?
    Friedhelm kann solche Sätze
gar nicht ab. »Romy!«, sagt er dann, »du kannst doch nicht ...«,oder: »du musst
doch mal...« Der nimmt das alles immer gleich so ernst, irgendwie erschüttert
das sein Weltbild, das passt dann nicht in sein Konzept. Er liebt Romy über
alles, manchmal denk ich, viel mehr als mich, aber er will nicht, dass sie so
ist, und ich glaub, ich weiß auch, warum, das ist aber schwer in Worte zu
fassen. Romy könnte das besser. Ich sag mal: weil sie ihn zu sehr an ihn selber
erinnert. Er grüßt doch die Leute auch bloß, weil sich das eben so gehört. Im
Grunde hat er mehr Schiss vor den Leuten als ich und Romy zusammen. Nur eben
alle auf ne andere Art. Friedhelm ist ja nach außen hin der beste, liebste,
höflichste Mann, den man sich überhaupt vorstellen kann, und ich wünschte, er
würd diese Schokoladenseite mal öfter mit nach Hause bringen. Ich - wie bin ich
eigentlich? Na doch auch höflich, hilfsbereit, freundlich, das haben sie mir ja
schon in der Schule immer auf mein Zeugnis geschrieben, und bei Romy steht
zwanzig Jahre später das gleiche, auch noch mit den gleichen Floskeln, die
machen sich da überhaupt keinen Kopp. Als Lehrer verblödet man wahrscheinlich
auch. Dabei war ich oft auch n ganz schöner Querkopp, ich hatt zwar immer
Schiss, und das Herz wummerte mir bis zum Hals, besonders in Stabü, da konnten
sie einen ja gleich richtig drankriegen, aber ich hab schon den Mund
aufgemacht, wenn mir was partout nicht gepasst hat. Romy würd da jetzt
wahrscheinlich lachen. Wenn du das doch bloß mal machen würdest, Mama, na.
    Aber die weiß, dass ihre
Mutter kämpfen kann. Dass ich für sie immer in die Bresche springen würd. Wie
damals mit diesem Drachen von Schwimmlehrerin, diese Spleißrieter. Kommt die
doch zu mir in'n Laden und behauptet, mein Kind hat den Entschuldigungszettel
gefälscht. »Das ist doch eine Kinderschrift!«, hat die zu mir gesagt. Und
außerdem hätte Romy ja ihr Schwimmzeug mitgehabt. War natürlich doof von mir gewesen,
und Romy hält mir das heute noch vor,
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