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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille
Autoren: Graham Joyce
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den Berg wegen der akuten Lawinengefahr gesperrt hatten.
    Ihr Hotel lag genau vor ihnen. Obwohl es erst kurz nach Mittag war, brannten sämtliche Lichter. Es sah gemütlich aus, einladend und wie ein sicherer Hafen.
    »Ich nehme erst mal ein heißes Bad«, meinte Zoe.
    »Ja, du stinkst.«
    »Danke. Und dann gehe ich in die Sauna, ich bin nämlich völlig durchgefroren. Aber du kommst nicht mit rein.«
    »Ich will ein Glas Wein. Roten.«
    »Und ein Steak. Englisch.«
    »Triefend vor Blut. Und mit Senf.«
    »Und Eiscreme.«
    »Wie, das Steak?«
    »Und dann trinken wir die Bar leer.«
    »Komm. Ich ziehe erst mal die Ski aus. Von hier aus können wir laufen.«

2
    Das Hotel Varka lag an den Fuß des Berges geschmiegt, ein Stückchen vom Zentrum des Örtchens Saint-Bernard-en-Haut entfernt, gleich neben dem Idiotenhügel. Es warb vollmundig mit »Skifahren gleich vor der Haustür«, was auch stimmte, wenn man denn zwei-, dreihundert Meter durch das platte Tal zu schlurfen als Skilaufen bezeichnen wollte. Das Hotel bot einen Vier-Sterne-Service inklusive zweier Bars – eine davon mit Piano –, eines Restaurants, eines Spa-Bereichs mit Sauna sowie Shuttle-Service und WLAN. Es war teurer als alles, was die Bennetts sich normalerweise leisten konnten, aber es war ja auch ein ganz besonderer Urlaub. Es war schon ein paar Jahre her, seit sie das letzte Mal Skilaufen waren – und auf einer Piste unweit von Chamonix hatten sie sich damals kennengelernt und ineinander verliebt –, weshalb sie sich ausnahmsweise diesen kleinen Luxus gönnten.
    Und dann kam diese Lawine, ohne den geringsten Sinn und ohne jeden Respekt vor diesem ganz besonderen Urlaub, und schnappte ihnen schon am zweiten Tag bösartig nach den Hacken.
    Das Hotelfoyer mit der Rezeption betrat man durch eine elektrische Glasschiebetür, die leise summte, als sie herantraten, und sich dann enervierend langsam öffnete. Im Mittelpunkt des Foyers stand ein gewaltiger, überladener und vielleicht auch etwas überzuckerter Weihnachtsbaum. Er funkelte zauberhaft im Schein filigraner blauer Lichter, die wie tanzende Elfen zwischen den Zweigen glitzerten. Zoe und Jake marschierten schnurstracks zur Rezeption, weil sie unbedingt irgendwem erzählen wollten, was sie durchgemacht hatten, aber der Empfang war menschenleer und unbesetzt. Also gingen sie stattdessen zum Aufzug und fuhren in den dritten Stock, in dem ihr Zimmer lag.
    Auf der Stelle ließ Zoe ein heißes Bad ein, und während die Wanne sich füllte, streifte sie rasch die Skisachen ab. Währenddessen ließ Jake sich mit weit ausgebreiteten Armen auf das Bett plumpsen. In ihrer Thermounterwäsche kniete Zoe sich neben ihn.
    »Alles okay?«
    »Ja, schon«, murmelte er. »Mir geht’s gut.«
    »Wir müssen dir unbedingt Augentropfen besorgen. Du siehst aus wie so ein fieser Zombie. Am besten gehst du damit mal zum Arzt.«
    »Ich brauche keinen Arzt. Du hast selbst ganz blutunterlaufene Augen, und schließlich bist du verschüttet worden, nicht ich. Du brauchst einen Arzt und solltest dich untersuchen lassen, nicht dass du, wie sagt man, traumatisiert bist.«
    »Und was soll der bitte machen? Mich auf die Couch legen? Mir das Händchen halten? Mir geht’s gut, ich brauche keinen Arzt. Ich bin unter den Schnee geraten und dann wieder rausgekrabbelt. Punkt. Und du?«
    »Mir geht’s auch gut. Der einzige Unterschied ist, dass ich unglaublich geil bin. Fühl mal.«
    »Finger weg. Lass mich erst baden.«
    »Meinst du, das ist, wie wenn man bei Beerdigungen total geil wird? Meinst du, das liegt daran, dass man das Sirren der Sichel gehört hat? Dass man sich unbedingt paaren will? Komm her, ma biche.«
    »Pfoten weg, ich bin völlig durchgefroren, Jake. Und du doch bestimmt auch. Lass mich erst in die Wanne steigen.«
    Jake schnappte sich den Telefonhörer. »Ich muss irgendwem erzählen, was passiert ist.«
    »Und was soll das bringen? Wage es ja nicht, einen Arzttermin für mich zu machen! Komm, geh mit mir in die Badewanne. Ich will mir nicht von irgendeinem Doc mit der Lampe in die Augen leuchten lassen. Komm. Und danach darfst du mit mir machen, was du willst.«
    Also stieg Jake aus den Skisachen und quetschte sich ächzend, stöhnend und seufzend zu Zoe in die Wanne. Dort saßen sie im heißen Dampf, umfassten die Knie des anderen und ließen sich von der Wärme durchdringen, die langsam die Kälte aus ihren Knochen vertrieb.
    Schweigend saßen sie sich gegenüber. Den Kopf an Zoes Knie gelehnt schien Jake
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