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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille
Autoren: Graham Joyce
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schnüffelte misstrauisch daran und nahm dann auch einen Schluck. »Die haben sicher nichts dagegen. Schau mal – da ist auch noch ein bisschen Schokolade. Die mache ich alle. Willst du auch welche?«
    »Nee, gib mir einfach das Fläschchen wieder.«
    An der Innenseite der Tür hing eine Skijacke, und in der Tasche steckte eine zusammengerollte Zeitung. Zwei breite Schneeschaufeln sowie ein Besen zum Schneefegen lehnten an der einen Wand der Hütte. Obwohl die Motoren heruntergefahren waren, legten die glimmenden Lämpchen die Vermutung nahe, dass die ganze Maschinerie noch eingeschaltet war. Ein altmodisches Walkie-Talkie-Gerät hing an einem Haken. Jake nahm es und drückte ein paar Knöpfe. Heraus kam ein statisches Rauschen, mehr nicht. Ein paarmal versuchte er hineinzusprechen, was allerdings bloß mit noch mehr statischem Rauschen belohnt wurde. In der schmuddeligen Hütte gab es sonst nicht viel, aber zumindest war es warm. Draußen schneite es nun noch heftiger. Also beschlossen sie dazubleiben, bis jemand auftauchte.
    Jake trank noch einen Schluck und schüttelte sich. »Das war knapp«, meinte er. »Wirklich knapp.«
    »Sehr knapp. Zu knapp.«
    »Wir können vor Glück sagen, dass wir da heil rausgekommen sind.«
    Zoe schaute ihren Mann an und sagte: »Weißt du was? Wir sind bloß eine Schneeflocke auf Gottes Wimpern. Mehr sind wir nicht.«
    »Was? Wenn du jetzt plötzlich mit Gott anfängst, bloß, weil du eine Lawine überlebst hast, dann lasse ich mich aufgrund unüberbrückbarer religiöser Differenzen von dir scheiden.«
    »Kannst du mich noch mal umarmen?«
    »Komm her. Ich kann dich auch zweimal umarmen. Oder dreimal. Ich umarme dich, so oft du willst.«
    Eine Stunde später war noch immer niemand an der Hütte aufgetaucht. Sie tranken den letzten Schluck aus dem Flachmann und verputzten den Rest Schokolade. Dann versuchten sie es noch mal mit dem Walkie-Talkie, hörten aber bloß wieder dieses statische Rauschen im Äther. Jake fummelte an den Schaltern der Konsole herum, und mit einem gewaltigen Grollen und Pfeifen der Turbinen liefen die Motoren an, und das große Rad über ihnen fing an, sich zu drehen.
    »Mach das aus!«, rief Zoe.
    »Warum?«
    »Weiß nicht! Mach es einfach aus! Du hast doch keine Ahnung, was du da tust!«
    Jake fuhr das ganze Räderwerk wieder herunter. »Komm, dann müssen wir wohl oder übel zu Fuß absteigen.«
    »Meinst du, das geht?«
    »Ich will hier nicht noch länger tatenlos herumsitzen.«
    Also machten sie die Jacken zu, zogen Mützen und Handschuhe an und wappneten sich für den langen beschwerlichen Marsch hinunter ins Tal. Dann fiel Zoes Blick auf ein Paar Skier, die draußen vor der Hütte an der Wand lehnten.
    »Meinst du, die dürfen wir uns ausleihen? Ich meine, heißt das, es ist noch jemand oben im Berg?«
    »Keine Ahnung. Sehen die aus, als seien sie heute Morgen benutzt worden?«
    Sie inspizierte die Skier. Neuschnee lag darauf wie Flaum. »Schwer zu sagen. Hör mal – mir ist gerade ein schlimmer Gedanke gekommen. Du glaubst doch nicht, dass der Liftwart auch in die Lawine geraten ist, oder?«
    »Was? Hier in der Hütte?«
    »Nein. Ich meine, vielleicht hat er gerade die Pisten kontrolliert. Ich weiß ja nicht, was die normalerweise so machen, aber nehmen wir mal an, er war auf der Piste und hat Schnee geschippt oder den Schlepplift kontrolliert oder so, und dann kam die Lawine und hat ihn mitgerissen, genau wie uns.«
    »Aber das wüssten die doch. Dann wären sie längst hier. Und würden ihn suchen.«
    »Meinst du?«
    »Klar. Die stehen in ständigem Funkkontakt. Die haben den ganzen Berg gesperrt, und er ist gegangen. Und bis der Berg wieder freigegeben wird, kommt auch keiner mehr hierher. Was gut und gerne bis morgen dauern könnte.«
    »Und warum stehen die Skier dann hier?«
    »Vielleicht steht hier immer ein Paar Ersatzskier für Notfälle.«
    »Du meinst doch nicht, dass da jemand, du weißt schon, unter dem Schnee liegt, oder?«
    Jake zupfte sich am Ohrläppchen. »Seien wir mal realistisch. Wenn ja, dann ist er längst tot. Das ist mittlerweile fast zwei Stunden her.«
    »Wir könnten nachsehen«, meinte Zoe. »Wir könnten helfen, wenn es geht. Wir könnten es zumindest versuchen.«
    Jake nickte. »Stimmt. Hör zu, was hältst du von diesem Vorschlag. Ich ziehe jetzt die Skier an. Ich lasse mich nach oben schleppen. Sollte er da irgendwo sein, sollte er irgendwelche Wartungsarbeiten durchgeführt haben, müsste er ziemlich nahe an der
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