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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras
Autoren: Christian Mähr
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    Erst als er fertig war, fiel ihm auf, wie lächerlich das aussah, was sie hier machten; das blanke Hinterteil vor ihm, der hochgeschlagene Rock – und er selber mit den Hosen, die sich um die Knöchel wulsteten, dabei hatte er sich vorgenommen, nie in eine Situation zu geraten, in der er mit knöchelverhüllendem Hosenwulst hinter einer gebückten Frau stand, er hasste dieses Bild, es zerstörte alles Ernste am Sex, machte die Szene zu einer Witzzeichnung, es fehlte nur die Unterschrift, irgendein blöder Spruch.
    Ein Hochsitz an einer Waldlichtung, sie kniete vor ihm auf der Bank, schaute in die verkehrte Richtung, in den Wald hinein und umklammerte immer noch mit beiden Händen einen Ast der Fichte, an die der Hochsitz gebaut war.
    Jetzt war es zu spät, der Schaden angerichtet, das einzig nicht lächerliche Detail ihre kleinen, unschuldigen, nackten Füße, denen er nie widerstehen konnte; das war einer ihrer Codes, die sie sich angewöhnt hatten – hatten angewöhnen müssen in der Situation im Betrieb – wenn sie sich wie in Gedanken unter dem Schreibtisch die Sandalen auszog, hieß das, sie hatte Lust, mäßig bei einer, unbändig bei allen beiden, er beobachtete sie den ganzen Tag auf solche Signale und wusste, wie er den Abend zu organisieren hatte. Bei diesem Spaziergang war sie es gewesen, die ihn überrumpelt hatte, sprang vom Waldweg ins Dickicht, lachte ihn über die Schulter aus, weil er ihr so schwerfällig folgte, dann fasste sie einen kahlen Fichtenstamm, den einen Holm der Leiter, die schon zwei Meter weiter oben an der Öffnung des Holzhäuschens endete,schlüpfte aus den Sandalen und stieg die Sprossen hinauf, ohne ein Wort zu sagen. Er wartete, bis sie oben war, kam erst dann nach, um eine Überlastung zu vermeiden, dazu war er zu sehr Ingenieur, wusste, wie diese Hochstände gezimmert wurden, zwei Nägel durch die kurzen Rundhölzer, die als Sprossen dienten, das war schon die ganze Holzverbindung, unglaublich, dass nicht mehr passierte, wenn die übergewichtigen Jagdgäste hinaufkletterten.
    Roland Mathis war nur dreißig Meter weit weg, höchstens dreißig. Als er um die Biegung des Waldwegs kam, waren sie auf dem kleinen Bildschirm verschwunden. Er blieb sofort stehen, hielt den Atem an. Es war fast völlig dunkel, nur im Apparat leuchtete ihm der Weg grünlich vor dem Auge, wenn er durchs Okular spähte, der Waldweg, die Bäume, der Hochsitz direkt am Weg, rechts an eine Fichte gebaut, jetzt sah er sie, da waren sie ja, von ihm nur der Rücken zu sehen, ihre Arme, mit denen sie ihn umschlang. Roland Mathis hatte ideale Sicht. Dennoch wechselte er auf die linke Seite des Weges, da gab es einen Baumstumpf, wo er das Gerät auflegen konnte. Er blickte direkt in die seitliche Öffnung des Hochsitzes, die Tür hatten sich die Jäger gespart; es gab auch welche mit Türen und Fenstern, wegen der Kälte wahrscheinlich, der hier war offen, behelfsmäßig, da hatte er Glück gehabt, dass dieses Ding auf der Seite offen war und nicht so weit oben, höchstens drei Meter. Auf der anderen Seite begann eine Lichtung, die vom Hochsitz aus beobachtet werden konnte, schlau eingerichtet, dachte er, mit minimalen Mitteln größter Nutzen. Er wurde ganz ruhig, was ihn wunderte. Befürchtet hatte er, wenn es endlich so weit war, herumzunerveln, den Zwischenring zu verlieren, die Aufnahmen zu verhauen, nichts davon. Wenn die dort oben weitermachten, wie er es erwartete, und nicht nur rumschmusten, dann war er am Ziel.
    Am Anfang schmusten sie rum, dann nahmen die Dinge ihren Lauf. Wie immer. Denken und Planen waren nicht nötig, es herrschte eine andere Zeit, eine andere Ordnung des Seins, es gab keine Zweifel und keine Probleme, vor allem aber keine Skrupel. Sie wimmerte und schrie, er dachte nicht an den Hosenwulst, er dachte gar nichts. Fast nichts. Man wird es hören, dachte er allerdings, man kann sie hundert Meter weit hören. Damit verband sich keine Befürchtung oder Sorge. Man kann sie hören und wenn schon … dieses Aus-der-Zeit-Fallen genoss er am meisten, er war süchtig danach, so sollte das Leben sein, dachte er, nicht immer, beileibe nicht, das würde niemand aushalten als Dauerzustand, aber in Portionen, abgemessenen Dosen war es unverzichtbar … nein, nicht süchtig, falsches Wort, süchtig ist man nach Drogen, aber das hier, dieser Sex mit ihr, das war … das war keine künstliche Substanz, sondern die Essenz des Lebens. Genau! Jeder sollte das haben, dachte er, jeder und jede. Es
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