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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras
Autoren: Christian Mähr
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einen Regenschirm aus dem Sandabscheider gezogen … Die Rede war völlig wirr, wurde nurdeshalb nicht höhnisch kommentiert, weil er der Chef war; dass ein Schirm in einem der Abscheider steckte, kam schon vor, der stammte dann aber sicher nicht aus einem Klosett.
    Nur Helga hatte ihn nicht angesehen, auf die Tischplatte im Besprechungszimmer gestarrt, aber alles richtig registriert und am Nachmittag eine ihrer Sandalen »verloren«, die rechte, zwei Hüpfschritte mit dem anderen Fuß zurück, den nackten rechten angewinkelt hochgehalten. Um den Laborboden nicht zu berühren, bis sie wieder in ihre Sandale geschlüpft war. Um ihm zu zeigen, dass sie seine Frage verstanden und gleichzeitig beantwortet hatte. Ja, sie hatte Lust, ja.
    Sie trafen sich immer am Abend. Weit außerhalb der Anlage an bestimmten Punkten im Wald oder im Ried. Dass die Anlage aus offensichtlichen Gründen weit außerhalb der Stadt lag, erwies sich als Vorteil; das Gelände rundherum war unübersichtlich. Wäldchen, Gebüsche, Riedflächen, in denen der Wachtelkönig brütete und ein paar andere, die auf roten Listen standen, weshalb man große Teile hatte unter Naturschutz stellen müssen, außerdem nach Brüssel melden wegen der europäischen Bedeutung und so weiter. Für Leute, die Ehebruch begehen wollen, ist das ideal, dachte er oft. Wenigstens im Sommer. Was würden sie im Winter tun? Aber jetzt war Sommer. Erst Sommeranfang. Juni. Dieses Wunderbare mit Helga hatte im April begonnen.
    Outdoor. Das war der Vorteil, dachte Roland Mathis. Diese Vorliebe der beiden für die freie Natur. Indoor wäre ein Problem gewesen. Dort war es schon auch möglich, keine Frage, die Profis machten es ja auch, aber er war kein Profi. Er war auf diesem Sektor Amateur. In geschlossene Räume einzudringen war außerdem strafbar, und wie er anders zu etwas Unwiderlegbarem kommen sollte, als eben in geschlossene Räume einzudringen, konnte er sich nicht vorstellen; schön,die Detektive installierten Minikameras in irgendwelchen Zimmern, aber diese Zimmer mussten sie zu diesem Behufe ja vorher betreten haben, oder? Darüber redete nie jemand, alle schauten nur auf die Fotos. Also musste man, um eine Übertretung zu beweisen, selber eine begehen, das widerstrebte Roland Mathis in der Tiefe seines Herzens, das konnte er nicht ausstehen. Überhaupt Übertretungen. Er war kein Jurist, Gott bewahre, das waren sowieso die Schlimmsten, die Rechtsverdreher, aber was der Herr Diplomingenieur Galba hier abzog, das war sogar nach den Grundsätzen des linksfaschistischen Systems, in dem sie alle zu leben gezwungen waren, nicht in Ordnung, da hatte sich ein Rest natürlichen Volksempfindens aus anderen, besseren Zeiten in den Paragraphen gehalten; das hatten die Verderber übersehen, die Korrumpeure; Unzucht mit Abhängigen oder so ähnlich. Freilich würde sich der Herr Diplomingenieur herausreden, von wegen, sie sei ja gar nicht abhängig, sondern eine erwachsene Frau, man solle sie doch fragen, ob er sie etwa gezwungen habe, und so weiter und so fort, Gewäsch, das ihm aber alle glauben würden, das war auch klar. Weil die Pest schon sehr weit in den Volkskörper eingedrungen war, nicht im physischen, wohl aber im seelisch-geistigen Sinne … Er wischte sich mit dem blaukarierten Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Er war erschöpft. Physisch war das keine große Sache. Am Boden knien und Fotos machen, aufgestützt auf dem Baumstumpf. Über dreißig Fotos. Also doch die Aufregung. Adrenalin. Verständlich. Hatte er ja noch nie gemacht, so etwas. Er zwang sich, zu kontrollieren, ob er alles beieinander hatte. Am liebsten wäre er gleich weggerannt, tödlicher Fehler, er konnte im Dunkeln überhaupt nicht rennen und musste auch noch leise sein; wenn er auch nur auf einen dürren Zweig stieg, würden sie es hören, so nah war er dran. Nach der postkoitalen Phase würdendie zwei denselben Weg zurückgehen, das war zu erwarten; er zog sich zurück, so schnell er konnte, den Apparat vorm Gesicht. Der Restlichtverstärker aus DDR-Beständen war ein älteres Modell, deshalb konnte man es ja auch kaufen, verhältnismäßig groß, wie eine Super-8-Kamera, dazu gedacht, von einem Wachturm aus in aller Ruhe die Umgebung auszuspähen; aber damit konnte man unten auf dem Boden niemanden verfolgen, das Gerät hatte ein Positivelement, eine achtfache Vergrößerung, der optische Weg brauchte Platz, er hätte etwas ganz Kurzes gebraucht, zum Anschnallen an einen Helm, wie es die
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