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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras
Autoren: Christian Mähr
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Gegenreformation prägte, das, was er vorhatte, fast jedem verständlich: eben aus Scheiße Gold zu machen , das verstanden sie alle, es entsprach dem bäuerlichen Biedersinn, das war etwas Handfestes , nichts Verrücktes . Und es rentierte sich. Das taten die wenigsten Sachen, sich rentieren . Als Redewendung gab es die skeptische Frage Rentiert sich das? , die meistens gleich vom Fragesteller selber abschlägig beschieden wurde: Das rentiert sich nicht! Zugereiste, wie Galbas Vater, der Zahnarzt, brauchten einige Zeit, um die allgegenwärtige Verwendung dieser Phrase auch in nichtökonomischen Zusammenhängen richtig einzuschätzen – so hörte er oft auf sein Angebot einer Betäubungsspritze vor einer tiefer reichenden Bohrung vom Patienten ein ablehnendes Rentiert sich nicht! und kam auch nach Jahren des Nachdenkens zu keinem anderen Schluss, als dass diese Ablehnung eben doch nur pekuniär begründet sein konnte; denn die Krankenkasse erstattete bei Füllungen keine anästhetischen Maßnahmen, nur bei Extraktionen; der Betreffende hatte dann den zu erwartenden Schmerz mit den Zusatzkosten verglichen und sich gegen die Spritze entschieden. Wie diese Kalkulation im Einzelnen aussah, konnte sich Dr. Galba allerdings nicht vorstellen, dazu fehlte ihm der genetisch fixierte Erwerbssinn der Landesbewohner, der sie zwang, die Redeweise vom Rentieren – viel häufiger Nicht-Rentieren – elliptisch auf alle Lebensbereiche auszudehnen. Nicht rentieren konnte sich zum Beispiel auch ein Ausflug, sogar, wenn er zu Fuß unternommen und kein Groschen dabei ausgegeben wurde; die Floskel versammelte hinter sich alles Negative, das einer Sache oder Unternehmung anhaften mochte, alles Langweilige, Sinnlose, Vergebliche. Die positive Formulierung hörte man kaum, außer im höhnisch sarkastischen Ausruf: Das hat sich wieder rentiert!, wenn man eine Vorstellung, die nicht konveniert hatte, des Landestheaters in Bregenz verließ. Dabei ging es nicht nur ums Geld, wieDr. Galba jahrelang angenommen hatte. Die Vorarlberger waren nicht etwa geizig – sie spendeten reichlich allen möglichen Hilfsorganisationen, was sich in keinem Falle rentieren konnte. Umgekehrt wurde ein Schuh draus: Das Reden vom Rentieren , vom Geld, war nur der Deckmantel, in den ganz gewöhnliche, persönliche Urteile gehüllt wurden, so, als hätten diese Urteile ohne sprachlichen Bezug auf unzweifelhaft Geldwertes weder Basis noch Bestand.
    Anton Galba war in Dornbirn geboren und aufgewachsen und an die örtlichen Eigenheiten gewohnt. Die Schlammbehandlung, die er entwickelt hatte, rentierte sich mittlerweile, aber das war nicht von Anfang an so gewesen. Es hatte Rückschläge gegeben, langwierige Optimierungsprozesse wie bei jedem chemisch-biologischen Verfahren dieser Größenordnung; alles Dinge, von denen die Öffentlichkeit nichts mitbekam. Er hatte als verantwortlicher Betriebsleiter alle Schwierigkeiten gemeistert. Aber es war ihm schwergefallen. Er hatte nicht die glückliche Laborhand wie manche seiner Studienkollegen. Er fand nicht auf Anhieb die richtige Lösung. Wenn es bei einem Problem nur einen Ausweg gab, aber vier Sackgassen, dann wählte er von denen erst einmal zwei, in seltenen Fällen drei, bevor er den Ausweg fand. (Aber niemals alle vier, das konnte er sich zugutehalten.) Dieses Manko machte er durch erhöhten Einsatz wett. Nächte. Wochenenden. Überstunden sowieso. Anton Galba war zäh. Nur das, was man gemeinhin das Leben nannte, war für Jahre an ihm vorbeigelaufen, wie er sich eingestehen musste. Diese Einsicht setzte sich bei ihm erst allmählich durch. Davor lagen lange Monate eines diffusen Missbehagens, begleitet von ebenso diffusen körperlichen Symptomen. Müdigkeit, Kreuzweh, Kopfweh, Fußweh, noch anderes Weh, das er inzwischen vergessen hatte, das sich aber mit Aspirin hatte jedes Mal vertreiben lassen; amschlimmsten war die missliche Stimmung, in die er mitten am Tage verfiel, ein anlassloser Groll auf alles und jedes. »Du wirst halt alt«, kommentierte Hilde diese Zustände, und noch mehr als die Diagnose missfiel ihm der Ton selbstgerechter Gewissheit, in der sie vorgebracht wurde.
    Das Wort Midlife-Crisis fiel nie, aber natürlich war diese Bezeichnung die zutreffende, wie er heute wusste. Und, auch das musste er zugeben, seine Reaktion auf diese Krise, sich nämlich auf Schnall und Fall in eine zwanzig Jahre jüngere Frau zu verlieben, war nicht rasend originell.
    »Was machst du dir Gedanken«, sagte Helga, als er
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