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Schnee an der Riviera

Schnee an der Riviera

Titel: Schnee an der Riviera
Autoren: Rosa Cerrato
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Tür und trat auf die beiden zu. Die Verzweiflung, die ihr entgegenschlug, traf sie wie ein Fausthieb: Marina saß oder kauerte vielmehr auf der Bank, Alberto hatte ihr in einem sinnlosen Versuch, sie zu trösten, den Arm um die Schultern gelegt. Das Gesicht der Frau war nicht wiederzuerkennen, ihre Züge vom Schmerz entstellt. Sie konnte kaum sprechen, auch, weil sie offenbar unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln stand, und als sie Nelly sah, gab sie einen unartikulierten Laut von sich, wie ein tödlich verletztes Tier.
    »Nelly!«
    Alberto klammerte sich an seine Wut, um nicht in denselben Abgrund zu stürzen wie seine Frau.
    »Die Polizei hat ihn umgebracht, stimmt das?«
    »Die Ermittlungen sind noch ganz am Anfang. Es ist alles so absurd, ohne jegliche Logik.«
    »Nur eines ist sicher: Franci ist tot. Wer ein Kind ... einen siebzehnjährigen, unbewaffneten Jungen in einer Schule umbringt, muss dafür bezahlen.«
    Seine Stimme bebte unkontrolliert. Marina legte ihm eine Hand auf die Lippen.
    »Es ist alles zu Ende, alles zwecklos, unser Leben ist zu Ende.«
    Sie sprach wie Mandelli, mechanisch, in fast dem gleichen Wortlaut.
    »Es gibt dafür keine Worte«, sagte Nelly und fühlte sich so unfähig und lächerlich wie noch nie in ihrem ganzen Leben. Doch es war genau das, was sie empfand. Nichts und niemand hätte sie jemals trösten können, wäre Mau an Francis Stelle gewesen. Wie hätte sie dieser am Boden zerstörten Frau also sagen können: »Du hast noch einen Sohn, für den du jetzt da sein musst«? Derlei Appelle an die Vernunft waren in einem solchen Moment vollkommen fehl am Platz. Jetzt war der Moment für Verzweiflung und Wut. Vielleicht später, sehr viel später ...
    »Zeig ihn uns, wir wollen ihn sehen.«
    Nelly hätte sich und ihnen diese Qual liebend gern erspart, doch die Vorschriften wollten es nun einmal so. Sie nickte und führte sie in den kalten, schummrigen Raum, in dem es nach Tod roch. Es war später Nachmittag, als Nelly endlich zu ihrem Sohn konnte. Mau saß angezogen auf dem Krankenbett. Er hatte seine Version des Tathergangs bereits zu Protokoll gegeben und unterschrieben. Er sah aus wie ein riesiges, mageres, verstrubbeltes Kind. Doch er weinte nicht. Schweigend und mit fragendem, eindringlichem Blick sah er sie an. Dann murmelte er wie zu sich selbst:
    »Wie kann so etwas nur passieren?«
    »Solche Sachen passieren jeden Tag irgendwo. Aber erst wenn sie uns selbst oder Leute, die uns nahestehen, betreffen, machen wir uns darüber Gedanken.«
    »Das brauchst du mir nicht zu sagen!«
    Mau blickte sie anklagend an. Sie wusste genau, wie sensibel ihr Sohn aufgrund seines Alters und Charakters für das Unglück der Welt war, und es tat ihr leid, ihm diese völlig unangebrachte Predigt gehalten zu haben.
    »Du hast recht. Du fragst dich das auch so oft genug. Doch dieses Mal ist es besonders hart.«
    »Hast du Marina und Alberto schon gesehen, Mama?«
    »Ja.«
    »Hassen sie uns jetzt?«
    »Vielleicht ...«
    »Können wir nach Hause fahren, Mama?«
    »Zuerst will ich noch von dir hören, was genau passiert ist, ehe Franci vom Dach gestürzt ist.«
    »Ehe dieses Dreckschwein von Polizist ihn umgebracht hat. Meine Zeugenaussage hab ich bereits gemacht.«
    »Mandelli ist ein anständiger Kerl. Er wollte ihm bestimmt nichts antun. Ich suche nach einer Erklärung, verstehst du?«
    »Na, ein Glück! Stell dir vor, er hätte ihm etwas antun wollen!«
    Die Bitterkeit und der Schmerz verzerrten Maus Gesicht zu einer grimmigen Fratze.
    Nelly beschloss, nicht darauf einzugehen.
    »Wovor hatte Franci wirklich Angst?«
    Mau wurde argwöhnisch wie eine streunende Katze, seine Augen verengten sich, und Nelly spürte, wie eine eisige Hand ihr Herz zusammendrückte. Etwas ganz Hässliches lauerte dort im Verborgenen, und Mau hatte irgendwie damit zu tun. Ihr schwante plötzlich, dass ihr Sohn ihr gleich eine Lüge auftischen würde.
    »Wie oft soll ich es noch sagen, verdammt, er hatte ein bisschen Hasch und wollte nicht, das man’s bei ihm findet und seine Eltern davon erfahren, also wollte er’s wegschmeißen, aber die Galli hat ihn festgehalten, Franci ist so ... war so blöd, er wollte den Helden spielen und hat sich wegen nichts in die Hosen gemacht.«
    Maus Augen füllten sich mit Tränen.
    »Lass uns nach Hause fahren, Mau. Morgen reden wir weiter.«
    Ohne dass Nelly es wollte, hatte ihre Stimme einen sachlichen und leicht drohenden Ton angenommen. Ihre Polizistennase hatte sofort gerochen,
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