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Schnee an der Riviera

Schnee an der Riviera

Titel: Schnee an der Riviera
Autoren: Rosa Cerrato
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würde nicht noch mehr wachsen, denn er überragte jetzt schon seine Freunde, seine Lehrer und auch sie selbst, obwohl sie mit ihren eins achtundsiebzig alles andere als klein war.
    »Mau, na los, aufstehen, mein Schatz.«
    Sie rüttelte ihn sanft, bis er grunzte, dann schob sie eine CD in die Stereoanlage, drückte auf »on«, und softe Santana-Klänge erfüllten das kleine Zimmer. Der Junge drehte sich seufzend auf die andere Seite. Entschlossen betrat Nelly das Badezimmer.
    Die Dusche brachte die entscheidende Wendung, und die Frau, die aus der Kabine trat, war um einiges lebendiger als die, die darin verschwunden war. Erstaunlicherweise war Mau bereits in der Küche, und ein verlockender Geruch nach Toast lag in der Luft. Der Tisch war sorgfältig gedeckt, Butter, Marmelade, Crostini, sogar gekochte Eier. Gurgelnd stieg der duftende Kaffee in der Espressomaschine hoch.
    »Womit hab ich denn das verdient?«, fragte Nelly fröhlich und versuchte, ihren Jungen zu küssen. Doch der wich ihr sofort aus, was bei seiner Länge keine große Kunst war. Er ließ sich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr küssen, und wenn, dann nur äußerst widerwillig.
    »Du hast vor achtzehn Jahren den richtigen Typen rangelassen«, gab er heiser zurück.
    Nelly sah ihn an und fragte sich, was wohl hinter dieser Schnoddrigkeit steckte. Maus Vater war gestorben, als er gerade zwei war, er erinnerte sich nicht an ihn, und womöglich litt er darunter.
    »Vielleicht sollte ich ihm mehr von seinem Vater erzählen ... Wenn es nur nicht noch immer so weh täte ...«, dachte sie. Sie beschloss, die Sache nicht weiter zu vertiefen. Ihre bewährte Überlebensstrategie.
    »Da hast du wohl recht, ich hab verdammtes Glück gehabt«, antwortete sie versöhnlich.
    »Die Katzen haben schon was bekommen.« Mau zog es vor, das Thema zu wechseln. »Hätte ich den Biestern nichts gegeben, hätten die glatt mich gefressen«, fügte er hinzu und übertrieb wie immer maßlos.
    Mau mochte Hunde, war aber von klein auf gezwungen gewesen, mit Generationen von Katzen zusammenzuleben. Die jetzigen drei, Pippo, Minni und Silvestro, Musterexemplare der in unterschiedlichen Nuancen grauschwarz getigerten europäischen Hauskatze, hockten mit der ihrer Spezies eigenen Eleganz vor drei farbigen Näpfen auf der Terrasse. Hastig schmierte sich Nelly einen Toast mit Butter und Bitterorangenmarmelade und trat hinaus. Wie immer überkam sie ein Glücksgefühl. Der großspurig »Terrasse« genannte Austritt bestand lediglich aus zwei insgesamt fünf Quadratmeter großen Ebenen mit einer winzigen Laube auf der ersten, doch der Ausblick war einfach atemberaubend. Das tiefblaue, ruhige Meer erstreckte sich bis zum Horizont; rechts zogen sich die Berge Richtung Frankreich, links konnte man die ganze Küste bis nach Portofino überblicken, dessen Kap an einen riesigen, im Wasser liegenden Dinosaurier erinnerte. Geradeaus der Hafen, der Leuchtturm, und direkt unter ihr das schiefergraue Dächermeer der Altstadt. Die von Mau liebevoll gepflegten Geranien, die Nellys schwarzen Daumen überlebt hatten, dufteten, und das vom Basilikum dominierte Aroma der Kräuter (um die sich ebenfalls Mau kümmerte, weil sie weder Zeit noch Lust dazu hatte) wehte ihr entgegen.
    »Wir beide können uns echt glücklich schätzen, weißt du das, Mau?«
    Mau hatte für Gefühlsduseleien nichts übrig und sie eigentlich ebenso wenig.
    »Kommt drauf an«, gab er lakonisch zurück und schlüpfte in seine vorschriftsmäßig geflickte Jeansjacke.
    Er hatte eine unglaubliche Menge Toasts und drei gekochte Eier verdrückt, doch sah man ihm das nicht an. Er war dünn wie ein Strich, und das rötlichbraune, schulterlange und zu Dreadlocks verfilzte Haar ließ sein Gesicht noch länger und hagerer erscheinen, kaschierte aber immerhin die pickelige Teenagerhaut ein wenig.
    »Ciao, Ma.«
    Noch ehe Nelly etwas antworten konnte, war er verschwunden. Kurz darauf verließ auch sie das Haus. Die kleine Piazza lag noch im Schatten, und nach und nach öffneten die Läden. Wie immer bog sie links in die erste Gasse ein und betrat Beppes Bar. Eigentlich war es weniger eine Bar, denn eine enoteca , ein Weinlokal alten Stils, von denen es selbst in der Altstadt nur noch wenige gab. Sonderlich sauber war es darin nicht, aber in dem sowieso ziemlich schummrigen Schankraum fiel das kaum auf. Abgesehen von dem relativ neuen Tresen (zwanzig Jahre alt?) hatte sich das Inventar seit der Eröffnung vor vierzig Jahren, als Beppe aus
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