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Schnee an der Riviera

Schnee an der Riviera

Titel: Schnee an der Riviera
Autoren: Rosa Cerrato
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verbliebenen Schüler beruhigen, die sind bestimmt zu Tode erschreckt, kümmern Sie sich bitte darum, Herr Direktor. Welcher von den beiden hat die Lehrerin gestoßen?«
    »Bagnasco«, sagte Nucci.
    Maurizios bester Freund, verdammt noch mal, sein bester Freund, der bei ihnen zu Hause ein und aus ging, die beiden waren Kumpels seit der Grundschule, ein dunkler, hagerer Junge, der nur aus Augen, Nase und Brille bestand. Total nett, weltfremd und völlig harmlos. Wie war das möglich?
    »Haben Sie mit den Jungs Kontakt aufgenommen?«
    »Sie haben gesagt, sollten wir versuchen, uns zu nähern, würden sie sich vom Dach stürzen«, stieß Nucci hervor und sah sie besorgt an.
    Entschlossen lief Nelly Richtung Treppe und war fast oben angekommen, als ein Schuss und ein markerschütternder Schrei ertönten, unmittelbar gefolgt von einem dumpfen Aufprall. Die Kommissarin begriff sofort, stürzte die Stufen wieder hinunter und rannte von Nucci und Professor Giacometti gefolgt hinaus. Sie mussten noch die seitliche Außentreppe hinab und halb um das Gebäude herum, begleitet von Sassus Schreien, der auf dem Dach stand und wie ein Wahnsinniger brüllte. Unten, zu Füßen des Gebäudes, auf dem von spärlichem Unkraut überwucherten Zement, lag wie ein Lumpensack ein zusammengekrümmter Körper. Darübergebeugt Gian, der Hausmeister der Schule, wie Nelly mechanisch registrierte.
    »Fassen Sie ihn nicht an, nicht anfassen!«, rief Nelly mit einer ihr vollkommen fremden Stimme.
    Mit völlig leerem Kopf erreichte sie den gestürzten Jungen und drehte ihn behutsam um. Francesco Bagnasco lag da wie eine kaputte Puppe. Er rührte sich nicht mehr. Offenbar war er sofort tot gewesen, der Sturz war aus fast dreißig Meter Höhe erfolgt. Einzig ihre Erfahrung und Selbstbeherrschung bewahrten die Kommissarin vor einer Ohnmacht. Sie riss sich zusammen, wies Nucci an, den Gerichtsmediziner und die Spurensicherung zu rufen und den Staatsanwalt zu informieren. Da war diese Detonation gewesen; merkwürdig, sie meinte, ein seltsames Echo gehört zu haben, als wären zwei Schüsse gefallen – wer zum Teufel hatte da geschossen? Und war Franci vor seinem Sturz getroffen worden? Auf den ersten Blick ließ sich nichts feststellen. Nelly bedeckte das Gesicht des Jungen mit ihrer Jacke, ließ Nucci neben dem Toten zurück und machte sich wieder in Richtung Schulgebäude auf.
    In der Schule herrschte Chaos. Der von einer Nervenkrise erfasste Direktor lief händeringend hinter ihr her und stammelte zusammenhangloses Zeug, und die Schüler drängelten sich panisch schreiend an den Fenstern. Manche waren ohnmächtig geworden, die Drogenhunde jaulten.
    »Herr Direktor«, zischte Nelly, »reißen Sie sich sofort zusammen, sehen Sie zu, dass Sie gemeinsam mit den Lehrern die Schüler beruhigen, statt Ihre Hände zu kneten, sonst stürzt womöglich noch einer aus dem Fenster.«
    Der Mann atmete tief durch, rang mühsam um Fassung und setzte sich in Bewegung. Wie Christus auf dem Kreuzweg erklomm Nelly die Stufen des Gymnasiums, begleitet von den verzweifelten Schreien der geschockten Schüler, von den Klagen, Flüchen und dem entsetzlichen Vorwurf:
    »Ihr habt ihn umgebracht, Mörder, Mörder!«
    Mau kauerte auf dem Boden neben der Terrassentür, bewacht von Sassu, der ihm Handschellen angelegt hatte. Aschfahl und reglos stand Mandelli daneben und starrte auf den kleinen, teils von Unkraut, teils von Nellys blauer Jacke verdeckten Umriss hinunter. Seine Dienstwaffe lag neben ihm am Boden. Mau war noch blasser als der Polizist. Seine Augen waren weit aufgerissen, Nelly musterte seine Pupillen, die ebenfalls geweitet waren. War nur die Angst daran schuld? Immerhin hatte er soeben seinen besten Freund sterben sehen, kein Wunder, dass er außer sich war. »Mach jetzt bloß nicht auf Mutti«, sagte sie sich kalt.
    »Was ist passiert, Mau?«
    Mühsam wandte er ihr den Kopf zu. Ganz offensichtlich stand er unter Schock. Er strahlte eine seltsame, unnatürliche Ruhe aus, nur ab und zu zuckte er schaudernd zusammen.
    »Du hast doch gesehen, was passiert ist. Deine Polizistenkollegen, diese Schweine, haben Franci umgebracht.«
    Maus Stimme brach.
    »Ich war nicht rechtzeitig hier, um zu sehen, was passiert ist. Vielleicht erzählst du’s mir?«
    Der Junge stand kurz vor einem Kollaps, seine Lippen begannen zu beben.
    »Er hatte ein bisschen Hasch und hat sich ins Hemd gemacht wegen der Drogenhunde, er wollte aufs Klo, um es wegzuschmeißen, doch die Galli, diese
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