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Schnee an der Riviera

Schnee an der Riviera

Titel: Schnee an der Riviera
Autoren: Rosa Cerrato
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Drogen unter Jugendlichen nicht genauestens im Bilde? Nicht zu fassen! Ich bin genauso vor den Kopf geschlagen wie die biedere Hausfrau, die sich nur um Heim und Herd kümmert! Dabei hätte die Vorzeigemutti vielleicht viel eher etwas bemerkt als ich in meiner verblendeten Überzeugung, alles im Griff zu haben.«
    Jetzt ging es darum, den Vorfall bis in die hintersten Ecken auszuleuchten und ihren Sohn neu zu entdecken.
    »Ich habe Glück gehabt, dass nicht er dort im Gestrüpp lag. Nicht auszudenken, ich wäre gleich mit draufgegangen. O Roberto, unser Sohn ... vielleicht hat ihm der Vater gefehlt. Ach, hör doch auf, immer die gleiche Leier! Vielleicht dies, vielleicht das ... Tatsache ist, dass sie kiffen, ob mit oder ohne Väter, geliebt oder ungeliebt, geborgen oder nicht. Sie tun’s, und damit basta. Weil sie Bock drauf haben. Aber woher will ich denn wissen, dass Mau auch ...«
    Klar weißt du’s, sagte ihr Verstand. Genau, pflichtete ihr Herz ihm bei. Jetzt war die Frage, was konkret Mau konsumiert hatte und wie weit er dabei gegangen war.

ZWEITER TAG
Morgen
     
    Am nächsten Tag blieb Mau zu Hause. Die Schule würde für ein paar Tage schließen, und es war gut, nicht sofort wieder an den Ort zurückkehren zu müssen, an dem sich diese unfassbare Tragödie zugetragen hatte. Nelly war ehrlich erleichtert, Mau daheim zu wissen. Sie nahm sich abermals vor, noch einmal mit ihm zu sprechen. Oder besser, ihn zu vernehmen. Die Farben waren im wahrsten Sinne des Wortes aus ihrer Welt gewichen. Graue, regenschwere Wolken hingen über einem bleiernen Meer. Grau war die Farbe ihrer Gedanken, grau wie Maurizios schmaler, ausweichender Blick.
    Nicht einmal Beppes Cappuccino konnte an diesem Morgen viel ausrichten. Wenn ihre Freunde aus der Enoteca Bescheid wussten, so verloren sie doch kein Wort darüber. Sie sahen sie kaum an und verkniffen sich sogar die üblichen Scherze. Also wussten sie Bescheid. Die Genueser Tageszeitung Il Secolo XIX lag aufgeschlagen auf dem Tisch, die Titelseite mit den Schlagzeilen über das »Blutvergießen am Klee-Gymnasium« (SIEBZEHNJÄHRIGER SCHÜLER KALTBLÜTIG VON POLIZIST GETÖTET) taktvoll umgedreht. Nelly kaufte sie auf dem Weg ins Präsidium, dazu noch ein paar überregionale Blätter. Auch in denen hatte Genua wie zu Zeiten des G8 die Top Ten gestürmt.
    Nelly beschloss, den Seiteneingang am Corso Aurelio Saffi zu nehmen, doch selbst dort erblickte sie schon von weitem eine kleine Traube aufgekratzter Journalisten, die für eine noch so kleine Neuigkeit zu allem bereit waren. Einige kannten sie. Die Wachleute, denen sie ein Zeichen machte, verstanden den Wink sofort und schlugen blitzschnell eine Schneise in die Gruppe, um ihr den alles andere als triumphalen Einzug in das Präsidium zu ermöglichen. Unter dem aufgeregten Geschrei der Presseleute schlüpfte sie geduckt und von den beiden Polizisten geschützt durch den engen Durchlass.
    »Das könnt ihr doch nicht machen!«
    »Wir verlangen eine Erklärung!«
    »Steht gefälligst zu dem, was ihr tut!«
    »Die Wahrheit, wir wollen die Wahrheit wissen!«
    »Nelly, Nelly!«
    Das war die Stimme von Sandra, einer befreundeten Journalistin, die beim Secolo arbeitete.
    »... wann wird man etwas erfahren?«
    Doch Nelly war bereits im Gebäude verschwunden, mit gesenktem Kopf und starr zu Boden gerichtetem Blick. Sie merkte, dass die Beamten sie seltsam ansahen, todernst, geradezu finster, doch niemand sagte etwas. Was war los? Esposito rief sie sofort in sein Büro.
    »Mandelli hat sich aufgehängt, verdammt noch mal, dieser Schwachkopf hat sich heute Morgen aufgehängt ... Herr im Himmel! Wir hätten ihn einliefern lassen, unter Beobachtung stellen sollen, das kommt einem Schuldeingeständnis gleich, der Chef will Sie sofort sehen, Dottoressa Rosso. Wann bekommen wir das Autopsieergebnis des Jungen? Und die Ballistik? Schläft die, oder was? Und was hat die Spurensicherung am Tatort gefunden? Das Haschisch, von dem Ihr Sohn gesprochen hat, wo ist das geblieben?«
    Doch Nelly hörte nicht mehr zu. Mandelli hatte sich umgebracht. Ein Jahr vor der Pensionierung. Ein mustergültiger Polizist hatte einen winzigen Augenblick lang die Beherrschung verloren, ein flüchtiger, wild gewordener Dämon hatte ihm sein altes Leben entrissen, nachdem er Francis kleines, junges Leben mit einem teuflischen Grinsen hinweggerafft hatte.
    »Die Autopsie wird heute Vormittag um zehn durchgeführt«, antwortete sie schließlich mechanisch. »Wer sagt denn,
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